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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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dankte ihr und folgte ihr durch einen kurzen Flur in das »richtige« Büro des Gouverneurs. Ich bewunderte ihre Schuhe, sie gab das Kompliment zurück, und irgendwie entspann sich daraus ein Gespräch über Hitzewallungen in den Wechseljahren (worunter sie litt), über Kräuterkuren (von ihrer Schwester empfohlen) und ob wir lieber von einem Mann oder einer Frau massiert wurden (von einer Frau – wer wollte schon, dass ein Mann einem das Fett durchknetet?).
    Als sie schließlich zurück ins Empfangsbüro ging, waren wir schon so was wie Busenfreundinnen, und ich war froh zu wissen, was ich in der Menopause gegen vaginale Trockenheit tun konnte.
    Mir blieb noch Zeit, mich im offiziellen Büro des Gouverneurs umzusehen.
    Es war mittelgroß und hatte einen Blick auf den Park. An den Wänden hingen die Flaggen der verschiedenen in Übersee stationierten Truppen. Der Raum war weder protzig noch prächtig, also typisch Oregon.
    Zwei gekreuzte Angelruten hingen an der Wand, daneben Fotos und Gemälde von den Flüssen Oregons, von der Küste und den Bergen. Der Schreibtisch war riesig, ein Möbel, das noch generationenlang dort stehen würde, wenn ich und der derzeitige Gouverneur längst unter der Erde wären.
    Ich nahm auf einem Stuhl Platz, schlug das rechte Bein über das linke, dann andersherum, zupfte an meinem Rockbund. Seit meiner Ankunft in Oregon hatte ich noch mehr abgenommen. Es fühlte sich nicht gut an. Ich war schon immer zu dünn gewesen, und jetzt war ich noch schmaler. Vielleicht sah ich ja längst aus wie ein Skelett.
    Ich schlug wieder das rechte über das linke Bein und fragte mich erneut, was um alles in der Welt ich hier machte. Ich dachte an mein Haus. Mein eigenes Heim. Mein Haus am rauschenden Fluss. Mein Haus mit den Balkonen. Mein reizendes Haus, das Ratten, Mäuse, Insekten und andere Tiere beherbergte und dessen Renovierung Tausende von Dollar verschlingen würde.
    Ich hörte Schritte auf dem Flur und dann eine tiefe, raue Stimme, die mir sonderbar bekannt vorkam. Ich stand auf und lauschte der Stimme, die Anweisungen erteilte. Die Worte des Mannes waren prägnant, sein Ton gebieterisch. Es bestand kein Zweifel, dass der Gouverneur auf dem Weg zu mir war.
    Ich stellte mir einen kleinen Mann vor, den ich mit meinen Stöckelschuhen überragen würde. Ein Mann mit schütterem Haar. Ich ärgerte mich, seit meiner Ankunft in Oregon keine Zeitung gelesen zu haben und den Gouverneur nicht einmal im Internet gesucht zu haben. Das war dumm. Warum hatte ich das nicht getan?
    Eigentlich wusste ich die Antwort. Weil ich hier nicht arbeiten wollte.
    Ich muss eine Kleinigkeit verraten, die ich bei meinem Nervenzusammenbruch gelernt habe: Wenn man sich jahrelang den Buckel krumm geschuftet hat und plötzlich in der Lage ist, allein zu Hause zu arbeiten oder (aus freien Stücken) überhaupt nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, dann ist die Vorstellung so gut wie unerträglich, wieder derart viele Stunden mit seltsamen, verrückten Typen zusammenzusitzen, mit denen man sich normalerweise nur unter Androhung von Waffengewalt abgeben würde. Man hat das Gefühl, als würde das Leben aus einem gesaugt. Durch die Nase. Und die traurige Wahrheit ist: Es ist tatsächlich so.
    Deshalb hatte ich den Gouverneur nicht im Internet gesucht.
    Die Stimme hielt inne, die Schritte nicht.
    Der Gouverneur betrat sein Büro.
    Ich holte kurz Luft. Meine Knie wurden so wacklig, als seien sie aus Gummi, meine Nerven begannen zu kreischen, meine Füße wollten dem unwiderstehlichen Drang gehorchen, davonzulaufen, zu springen, einfach abzuhauen. Notfalls durch das Fenster.
    Denn vor mir stand der Nacktjogger.

12 . KAPITEL
    »Du lieber Gott!« Kaum war mir klar, dass ich etwas gesagt hatte, presste ich die Lippen aufeinander. Ich hatte geschrien, als wäre ich auf einer religiösen Kundgebung und riefe den Herrn durch ein Megaphon an.
    Der Nacktjogger hielt unvermittelt inne und sah mich an. Seine Augen flackerten leicht, und sein Gesichtsausdruck erstarrte, ansonsten zeigte er keinerlei Reaktion.
    Ich hingegen stellte das Atmen ein. Das gesamte Blut meines Körpers sammelte sich in den Füßen. Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte mich nicht rühren. Ich konnte nicht denken. Ich konnte nicht reagieren.
    Gleich würde ich sterben.
    Eine Weile starrten wir uns an, schockiert, entgeistert. Ich fühlte mich nackter und ungeschützter als an dem Abend, als wir uns auf dem Boden wälzten und das Mondlicht auf meinen nackten Hintern

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