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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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lehnte mich gegen die Mauer des dunklen, düsteren, dumpfen, dunstigen Kellers.
    »Was soll das heißen: ›Er hat seine Keime verbreitet‹?«, wollte ich wissen. Mein Gott, ich bekam hier kaum Luft!
    »Er hat andere Personen damit angesteckt.«
    Ich versuchte, ganz normal zu atmen. »Ich weiß, dass die Frauen aus dem Lager mit ihm schlafen mussten, Rosvita –«
    »Das kann man wohl nicht ›miteinander schlafen‹ nennen, Jeanne.«
    Ich legte die Finger an die Schläfen und nickte. »Du hast recht, Rosvita. So meinte ich das auch nicht –« Diese armen Frauen: hilflos, hoffnungslos, aussichtslos.
    Rosvita stützte die Hände in die Hüften. Sie wirkte trotzig und – war das Stolz?
    Verdammt nochmal. Ich wusste, dass mehr dahintersteckte. »Das ist doch nicht alles, Rosvita! Erzählst du es mir bitte?«
    »Ich kann nicht darüber sprechen«, flüsterte sie. »Ich habe es gerade erst erfahren. Ich kann nicht mal daran denken. Dieses süße, liebe Mädchen … dieses liebe, wunderbare Mädchen … und dann diese bösen Keime. Überall. In ihr.«
    »Was für Keime? Was für ein Mädchen? Wovon redest du?«
    Rosvita holte tief Luft und begann zu weinen. Schnell legte sie ihre behandschuhten Finger auf den Mund. »Dan Fakue hat Alessandra vergewaltigt. Vergewaltigt! Deshalb haben die Lopez das Immigrantenlager verlassen und sind zu dir gekommen.«
    Mir wurde schlecht. Ein Bild des hässlichen alten Sacks, der auf der schreienden, weinenden Alessandra lag, blitzte in meinem Kopf auf. Ich verdrängte es, hielt die Hand vor den Mund und versuchte zu atmen. Einatmen, ausatmen, einatmen …
    »Letzte Woche erzählte mir Therese, dass Fakue eines Tages, als sie noch für ihn arbeiteten, Alessandra in sein Haus bestellt hätte, um Eier und Milch abzuholen. Zu dem Zeitpunkt war Therese nicht zu Hause, sie war zum Arbeiten auf dem Feld. Als Alessandra zu Fakue kam, packte er sie im Nacken, drückte sie gegen die Wand, riss ihr die Hose herunter und vergewaltigte sie. Sie sagte, sie wollte flüchten, aber er hätte ihr ins Gesicht geschlagen. Ich sagte den Lopez, sie sollten zur Polizei gehen, aber sie haben Angst vor der Polizei und befürchten, abgeschoben zu werden.«
    Ich sackte zusammen, Übelkeit stieg in mir auf. Deshalb also hatte Alessandra den Kopf gesenkt gehalten, als ich sie kennenlernte.
    »Das hast du gerade erfahren?«, flüsterte ich. Ich vertraute meinem Magen nicht.
    »Ja. Therese und Ricardo hatten Angst, dass Alessandra schwanger sein könnte, deshalb sind sie vor kurzem mit ihr in ein Krankenhaus gefahren, weit entfernt. Dort wurde sie untersucht, es wurden Tests gemacht, und dann sagte man ihr, sie sei nicht schwanger, aber sie hätte Chlamydien. Chlamydien kommen von einer Bazille, einem ganz kleinen Ding namens
Chlamydia trachomati
s. Die Krankheit ist heilbar, Alessandra bekommt entsprechende Medikamente, so dass sie wieder rein und sauber wird, aber er hat sie vergewaltigt, Jeanne. Sie ist vierzehn. Er musste sterben.«
    Ich ließ mich zu Boden sinken, dachte an die niedliche, schüchterne, verängstigte, liebliche Alessandra. Damals hatte sie gezittert wie Espenlaub, blass und in Todesangst. Ich dachte an dieses schmerbäuchige, schweinsäugige, stinkende, gefährliche Scheusal von Migrantenschreck.
    Ich dachte an Ricardo und Therese, an ihren endlosen, tiefen Kummer, an die Tränen, die sie vergossen hatten.
    Ich barg den Kopf in den Armen, bis ich wieder Luft bekam, dann sah ich zu Rosvita auf.
    »Du hast recht«, sagte ich, nun wieder ruhig. »Er musste sterben.«
    Sie nickte.
    »Und was machen wir nun mit der Leiche?«, fragte ich.
    Und das war es. Eine entscheidende kleine Frage. Eine Frage, die mich offiziell zur Komplizin machte. Zur Mittäterin.
    Wenn ich an meinem ersten Tag im Opera Man’s Café unter den Tannen gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich die Flucht ergriffen, als seien tollwütige Wölfe hinter mir her. Ohne mich umzusehen.
    Ich dachte an Alessandra.
    Ich dachte an Rosvita. An die exzentrische, freimütige, lärmige, von Keimen besessene Rosvita, die ein Herz für die Familie Lopez hatte.
    Ich dachte an Therese und Ricardo. Dann wieder an Alessandra.
    Nein, ich würde nicht die Flucht ergreifen.

17 . KAPITEL
    Ich beschloss, nach Hause zu gehen und auf das Problem mit dem Migrantenschreck einen zu trinken. Als ich noch in Chicago lebte, liefen solche Abende darauf hinaus, dass ich trank, bis ich weinte und einschlief.
    Ich holte Sahne und eine Flasche Kahlua

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