Blaue Wunder
ohne Einladung. Oder stehen Sie auf der Gästeliste?»
«Hör mal, Jüngelchen», mischte sich Bert ein, «jetzt mach mal keinen Aufstand, ja. Was soll der Spaß hier kosten?» Er zog ein paar Scheine aus seiner Hose. Ich schämte mich entsetzlich. Da nützt dir das tollste Outfit und das brillanteste Make-up nichts: Wenn du mit einem großkotzigen Deppen vor einer Tür stehst und nicht reinkommst, siehst du immer alt aus.
«Elli, bist du das etwa?»
Super-Nucki beugte sich ein wenig vor, um mich genauer anzuschauen.
«Ich hab dich gar nicht erkannt. Du siehst ja völlig verändert aus.»
«Oh, danke.»
«Das war eher nicht als Kompliment gemeint.»
«Oh, na dann.»
Ich sah traurig zu, wie die Fassade meines vorgetäuschten Selbstbewusstseins wie nach einer gezielten Sprengung in sich zusammenfiel.
«Dürfen wir trotzdem rein?», piepste ich leise. «Erdal wartet drinnen auf uns.»
«Klar, aber sag diesem Typen, er soll endlich die Scheine wegstecken. So läuft das hier nicht.»
Ehe sich Bert aufregen konnte, schob ich ihn an Nucki vorbei. Ich fühlte mich entsetzlich, und Erdal benötigte drei Gläser Champagner und viele gute Worte, um den Schaden, den Super-Nucki bei mir angerichtet hatte, einigermaßen wieder gutzumachen.
Immerhin waren Karsten und Tina auch da, und ich war sehr beeindruckt, dass Tina den Abend moderieren sollte. Sie hat sogar, erfuhr ich, auf N3 eine eigene TV-Sendung, «Tinas Land und Leute», jeden Sonntagnachmittag, mit Berichten und Gästen aus dem Großraum Hamburg. «Eigentlich voll der öde Scheiß», wiegelte sie ab. Aber es war zu spät. Ich war schon vor lauter Ehrfurcht erstarrt. Also wirklich, wie beeindruckend, dass ich so eine berühmte Frau persönlich kenne! Ich habe immer sehr viel Respekt vor Leuten, die im Fernsehen vorkommen. Außer natürlich vor Andreas Türck und Sonja Ziet- low.
Ich selbst bin leider überhaupt nicht der Typ, der sich vor Kameras oder vielen Leuten gut präsentieren kann. Als ich in Bio mal ein Referat über den Zitronensäurezyklus halten sollte, bin ich tatsächlich ohnmächtig geworden, und als ich bei der Hochzeit meiner Schwester zu meiner launigen Rede ansetzte, habe ich derartig hyperventi- liert, dass mein Vater meinen Text vorlesen musste.
«Ach, Quatsch, das kann man alles lernen», wollte Tina mir weismachen. «Und so dolle ist das mit dem Berühmtsein auch nicht. Ich darf nie so viel essen, wie ich will, und sehe vor der Kamera trotzdem noch zu fett aus. , habe ich mit meinem Team abgemacht. Ab Körpermitte sehe ich schlicht und ergreifend aus wie eine Litfaßsäule. Wirklich, Elli, sei froh, dass dich keine Sau kennt. Neulich bin ich in meinem Fitnessstudio auf die Sonnenbank gegangen. Da stehen sechs Bänke hintereinander. Was soll ich sagen, auf einmal klappt so ein kicherndes Gör meine Sonnenbank auf, glotzt mich an und schreit stolz zu ihren Freundinnen rüber: Das war echt der Tiefpunkt.»
Ich wurde blass. Ich gehe nicht oft unter die Sonnenbank, aber natürlich weiß ich, wie unvorteilhaft man darunter aussieht. Abgesehen davon, dass man bereits nach wenigen Minuten nach ausgelassenem Fett stinkt, ist die Beleuchtung absolut indiskutabel. Die kleinste Problemzone erscheint als ausgewachsene Krisenregion. Und allein die Vorstellung, jemand würde mich in diesem würdelosen Zustand anschauen - nackt, brutzelnd und nur mit einer neonfarbenen Augenschutzbrille bekleidet -, lässt mich frösteln. Das, da musste ich Tina Recht geben, ist wirklich eine sehr dunkle Schattenseite des Ruhmes.
Ich griff nach einem weiteren Glas Champagner. Den gab’s hier offenbar umsonst, und da wollte ich nicht unnötig zurückhaltend sein.
Martin hatte ich noch nirgends entdecken können, aber mit jedem Schluck fühlte ich mich ein wenig zuversichtlicher und ein wenig unwiderstehlicher.
Tina verabschiedete sich: «So, ich muss jetzt auf die Bühne. Wisst ihr, das Angenehme an Vicky Leandros ist ja, dass man neben der immer gut aussieht. Wir sehen uns nachher. Du siehst übrigens irre toll aus, Elli, dafür brauchte ich eine Stunde bei einem Spitzenvisagisten.»
«Da kann ich der Dame nur beipflichten», raunte mir Bert ins Ohr. Ich antwortete nicht.
Denn ich hatte Martin gesehen.
Und er mich.
Ich versuchte, alles, was ich mir für diese entscheidenden Sekunden vorgenommen hatte, in die Tat umzusetzen. Mit Erdal hatte ich einen exakten Aktionsplan
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