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Blaue Wunder

Blaue Wunder

Titel: Blaue Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ausgearbeitet, den ich mir von Petra per E-Mail bestätigen ließ:
     
1. Analyse von Martins Gesichtsausdruck
     
    Er war wohl in erster Linie überrascht, aber, wie mir schien, durchaus nicht unangenehm. Ich meinte in seinen Augen sogar ein deutliches Zeichen von, nun ja, Bewunderung zu sehen. Man darf nicht vergessen, dass Martin mich niemals zuvor mit perfekt getuschten Wimpern, ausdrucksstarken Augen und verführerisch schimmerndem Teint gesehen hat. Außerdem, und ich wette, auch das machte gehörig Eindruck auf ihn, verhielt ich mich exakt nach Plan. Ich machte meine Sache wirklich gut.
     
2. Augen weit öffnen, fröhlich und unbekümmert lächeln, freundlich nicken.
     
    Dieses Verhalten sollte die Botschaft an Martin übermitteln: Ach, was für ein netter Zufall, dich wiederzusehen. Wir hatten schließlich eine gute Zeit miteinander. Die Trennung kam für mich zwar etwas unvermittelt, aber ich habe sie innerhalb von vier, fünf Stunden überwunden. Ich habe mich seither gut in Hamburg eingelebt, kenne angesagte Leute, besuche angesagte Partys und amüsiere mich überhaupt prächtig.
     
3. Ihm etwas zu lang, etwa zwei bis drei Sekunden, erotisch in die Augen schauen, dann lachend den Kopf in den Nacken werfen, kurz das Glas in seine Richtung erheben und mich mit mädchenhaftem Schwung zu Bert umdrehen, oder wer auch immer dann gerade neben mir steht, und eine angeregte Unterhaltung beginnen.
     
    Damit sollte bei Martin der Eindruck erweckt werden: Hm, jetzt wo ich dich so unvermittelt sehe, stelle ich fest, dass du mir immer noch ganz gut gefällst. Erinnerst du dich noch an den Sonntagnachmittag, an dem wir gar nicht aus dem Bett rausgekommen sind und ich, bloß um es endlich auch mal gemacht zu haben, eine Olive aus deinem Bauchnabel geknabbert habe?
    Jetzt, wo kein Beziehungsdruck mehr auf uns lastet, könnten wir uns doch mal wieder treffen, einfach um ein bisschen unverbindlichen Spaß miteinander zu haben? Oder auch nicht. Hab einen schönen Abend. Wenn du was von mir willst, musst du dich schon zu mir herbemühen. Ich kenne hier schließlich genug Leute.
     
4. Auf keinen Fall mehr in seine Richtung schauen. Hoffen, dass die Taktik funktioniert.
     
    Bis hierher hatte ich mich Punkt für Punkt an den Plan gehalten. Ich hatte mich mit mädchenhaftem Schwung umgedreht, mich in die Unterhaltung zwischen Karsten und Bert eingeschaltet und Martin den Rücken zugedreht mit dem Wissen, dass selbst mein Hinterkopf dank Maurice’ Plätteisen anziehend aussah. In der Hoffnung, Martin würde mich weiterhin beobachten, kam ich dem blöden Bert etwas näher als nötig. Bert grinste mich selbstgefällig an, als wolle er mich dazu beglückwünschen, dass ich endlich kapiert hätte, was für ein geiler Kerl er sei. Ich nahm mich zusammen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ich sah, wie Erdal mir anerkennend zunickte. Er war der Einzige, der zu würdigen wusste, welch großartige Leistung ich bis hierher vollbracht hatte.
    Ein paar Minuten später, es war mittlerweile kurz vor eins, schritt ich zum letzten Punkt des Plans.
     
5. Gib Martin die Gelegenheit, dich anzusprechen, ohne dass Bert oder einer deiner Freunde in der Nähe ist.
     
    Ich ließ also Bert mit den klassischen Worten stehen: «Ich gehe mich mal frisch machen», und schlenderte Richtung Bar. Das Bühnenprogramm war beendet, und ich kam an Vicky Leandros vorbei, die von einem Fernsehteam nach den Vorzügen ihrer Pflegeserie für die reife Haut befragt wurde. Im Scheinwerferlicht sah sie aus wie eine Mandarine von letztem Weihnachten.
    Das geschieht euch recht, ihr dürren Ziegen, dachte ich gehässig. Wer im Alter noch einen Gutteil seiner Zeit damit verbringt, Kalorien zu zählen, versteckte Fette aufzuspüren, und behauptet, es gäbe nichts Herrlicheres zum Frühstück als einen frisch geraspelten Apfel mit Mandelkleie, der darf sich nicht wundern, wenn ihm die Haut um die Knochen labbert wie eine Sofahusse über einem Küchenstuhl.
    Ist nicht im Grunde genommen Schlankheit im Alter ein Zeichen für mangelndes Selbstbewusstsein? Gemahnt uns die Sechzigjährige in Kleidergröße vierunddreißig nicht daran, dass der würdelose Kampf gegen die Kilos, das Ringen um äußerliche Schönheit niemals endet, wenn man beides nicht rechtzeitig beendet?
    Die Vorstellung erschreckte mich, dass ich in dreißig Jahren immer noch schweren Herzens die Panade vom Schnitzel abschaben und mir teure Cremes auf eine Haut schmieren würde, die der beste Be- weis

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