Blaue Wunder
dafür war, dass all die teuren Cremes null Wirkung hatten. Irgendwann will ich aufhören, Falten und Kalorien zu zählen. Aber nicht heute.
«Ich hätte gerne einen Fruchtcocktail, aber bitte ohne Sahne.»
Ich hatte die Bar erreicht und mich strategisch günstig in der Mitte des Tresens platziert.
«Elli, was für eine Überraschung, du siehst umwerfend aus!»
Uaaaaah! Kreisch! Seine Stimme! Martin! Es hatte geklappt! Danke, Petra! Danke, Erdal! Jetzt hieß es Nerven bewahren.
Ich zauberte das bewährte freundlich-unbeschwerte Lächeln auf mein Gesicht und drehte mich um. Er stand direkt vor mir. Ich konnte sein Rasierwasser riechen - das ich nie besonders gemocht hatte, weil es mich an einen Freund erinnerte, der mich mit siebzehn wegen eines Mannes verlassen hatte. Da fragt man sich schon einen Moment lang, was man falsch gemacht hat. Aber jetzt erschien mir Martins Geruch so verführerisch wie der Duft von frisch gebackenen Apfelpfannkuchen, in Zimt und leicht gebräunter Butter geschwenkt.
«Ach, Martin, danke, nett von dir. Schön, dich zu sehen.»
«Ich... ich wollte mich eigentlich schon längst bei dir gemeldet haben. Aber du warst ja so schnell verschwunden, und da wusste ich nicht.»
Martin schaute mich so hilflos an, als wolle er mich bitten, seinen Satz für ihn zu beenden. Ich wusste, dass ich ihn jetzt nicht verschrecken durfte. Keine Gefühle zeigen, keinen Schmerz, keine Trauer, keine Verzweiflung. Mein Beraterstab war sich einig gewesen: «Er kommt nur zu dir zurück, wenn er glaubt, du legst keinen gesteigerten Wert darauf.»
Das ist albern, lächerlich, peinlich, pervers? Ja, das ist es. Und leider ist es noch etwas: nämlich wahr.
«Ach, komm, Martin, mach dir keinen Kopf. Ich finde, wir haben alles geklärt. Lass uns einfach nett zueinander sein und vergessen, was war. Wir sind doch zwei erwachsene Menschen.»
Ich lächelte.
Und mein Herz übergab sich.
Wie ich diese Worte hasse: «Lass uns wie erwachsene Menschen damit umgehen.» Was heißt schon erwachsen? Dass du abgebrüht bist? Dass deine Seele mittlerweile von einem Panzer aus Argwohn umgeben ist? Dass dein Herz aussieht wie eine Ferse, die noch nie eine Pediküre bekommen hat: schrumpelig, rau, verhornt? Du kannst auf einen Dornenzweig treten, ohne es zu spüren? Deine Liebe kann zerbrechen, und beim Aufsammeln der Scherben bleibst du unverletzt? Keine Wunde, kein Blut, kein Schmerz? Darauf bist du stolz? Das nennst du erwachsen? Du denkst belustigt daran, wie du mit fünfzehn gelitten hast, als der Junge mit dir Schluss machte, der deine erste große Liebe war? Wie du geweint hast manchmal mitten im Unterricht? Wie du stundenlang auf deinem Bett lagst, eine Zigarette nach der anderen geraucht und nichts gespürt hast außer Weh am ganzen Körper, innen und außen? Heute lachst du darüber, dass du mit fünfzehn glaubtest, dein Leben sei vorbei? Heute bist du erwachsen. Heute regelst du die Dinge so, wie es Erwachsene tun.
Ich nicht! Der Schmerz hat sich in all den Jahren nicht verändert. Ich will mich nicht gewöhnen an den Kummer, den die Liebe bringt. Ich bin erwachsen, das steht in meinem Ausweis, aber meine Herzhaut ist so dünn, wie sie es immer war.
Ich schaute in die Augen dieses Mannes, der mir mal gesagt hat, dass ich ihn überwältigt habe. Der in meinen Armen eingeschlafen ist. In dessen Armen ich aufgewacht bin. Der mit einer anderen verlobt ist. Der mich verlassen hat. Der mein Herz zerbrochen hat.
Und ich tat genau das, was ich schon mit fünfzehn getan habe: Ich lächelte.
«Du, Martin, meine Freunde warten. Es hat mich wirklich gefreut, dich zu sehen. Bis bald mal wieder.»
Ich hauchte ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. Er war wie immer glatt rasiert. Er rasiert sich allerdings, wie er mir mal gestanden hatte, nicht ganz freiwillig. Sein rötlicher Bartwuchs sei unregelmäßig und mit einem Dreitagebart würde er nicht cool aussehen, sondern wie ein geschecktes Pony.
Ich schaffte es noch eine halbe Stunde, meine Fassade aufrechtzuerhalten. Ich lachte, etwas zu laut, ich trank, etwas zu viel, und ich warf mein gestyltes Haar ausgelassen hin und her wie ein Drei- Wetter-Taft-Model beim Werbeshooting. Bert war immer entzückter und rückte mir ständig näher auf die Pelle.
Gegen halb zwei konnte ich nicht mehr. Zu Bert, der mir erwartungsvoll sein Ohr entgegenstreckte, sagte ich: «Du, ich gehe jetzt. Ich glaube, du bist nicht ganz mein Typ.» Ich stapfte entschlossen zum Ausgang, winkte Erdal und
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