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Blaue Wunder

Blaue Wunder

Titel: Blaue Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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seinen Eltern, und einmal im Jahr macht er mit seiner Mutter eine Woche Urlaub. Trotzdem erzählt er zu Hause so gut wie nichts Persönliches über sich. So sind sie, diese Hanseaten.
    Erdal hingegen hält es für krank, interessante Informationen nicht weiterzugeben, egal, an wen. Er ist eben eine richtige Frau.
    Ich klappe fröstelnd das Tagebuch zu. Mensch, jetzt wird’s mir aber richtig kalt. Martin braucht ganz schön lange. Aber ich finde es sogar toll, auf ihn zu warten. Ich will gerade aufstehen, um nach unten zu gehen, als mein Handy zweimal piept.
    Neue Kurzmitteilung eingegangen. Absender: AMORE MOBIL.
    Ich hatte mir diese kleine Sentimentalität beim Speichern von Martins Nummer geleistet. Zum einen ist sein Nachname nicht so schön, und zum anderen war der Speicherplatz für «Amore» schon viel zu lange leer gewesen. Wahrscheinlich steht mein armer Liebster ratlos in der Videothek und weiß nicht, ob in «Natürlich blond 2» genügend Tote mitspielen. Ist der süß, denke ich, und öffne die SMS.
    «Was ist denn jetzt los?», schaffe ich gerade noch zu denken. Und dann geht die Welt unter.

«Ob jemand zu       
Schaden gekommen ist? 
Das will ich meinen!»  
     

    «Ich kann einfach nicht glauben, was du da sagst! Das ist das absolut Entsetzlichste, was ich jemals gehört habe! Bin ich froh, dass mir das nicht passiert ist! Elli, Liebchen, du tust mir so unendlich Leid!»
    Selbst in meinem Zustand fällt mir auf, dass die Worte, die mein schwuler Mitbewohner da für mich findet, nicht wirklich trostspendend sind. Es wäre mir lieber, er würde versuchen, die ganze Sache etwas herunterzuspielen, und Dinge sagen wie: «Na, so schlimm ist es nun auch wieder nicht» oder «Warte mal ab, es ist ja noch nicht aller Tage Abend». Oder dass er einen Satz begänne mit: «Also das Positive daran ist ja...» Stattdessen läuft Erdal aufgeregt durch die Küche, rauft sich die Haare und kippt ein Glas Rotwein nach dem anderen runter, ganz so, als habe nicht mich, sondern ihn selbst dieser Schicksalsschlag getroffen.
    Seltsamerweise bin ich nicht unglücklich. Das liegt wahrscheinlich am Schock. So wie bei Leuten, die sich aus Versehen irgendwas amputieren, einen Finger oder von mir aus auch gleich den ganzen Arm. Ich habe gelesen, dass diese Unglückseligen zunächst keinen Schmerz empfinden, sondern nur komplett verwundert auf ihre Wunde starren und sich nicht erklären können, wo der betroffene Körperteil eigentlich abgeblieben ist.
    So geht es mir. Ich sehe eine Frau mit blutendem Herzen auf einem Klappstuhl sitzen, die nichts fühlt - außer Unverständnis und Mitleid mit ihrem Mitbewohner, der sich gerade ein halbes Fläschchen Baldrian forte in den Wein kippt, um seine Nerven zu beruhigen.
    «Elli, bitte, du darfst dich jetzt nicht aufregen. Du musst cool bleiben. Lass uns alles nochmal ganz in Ruhe durchsprechen.»
    Erdal lässt sich schwer atmend auf den zweiten Klappstuhl fallen. Mir fällt auf, dass ich ihn mir noch nie richtig aufmerksam angeschaut habe. Na ja, nach meinem Einzug haben wir uns auch nicht häufig gesehen. Bin ja ständig unterwegs gewesen mit... mit - ach, nicht daran denken.
    Erdal Küppers hatte ein Zimmer über die Mitwohnzentrale angeboten, für mich gerade zur rechten Zeit. Die Zentrale von «ErdmannReisen», dem Reiseveranstalter, bei dem ich arbeite, hatte eine Rundmail an alle Filialen in Deutschland geschickt, ob jemand kurzfristig in Hamburg einspringen könne, zunächst für vier Wochen, mit Option auf Verlängerung.
    Von meinem Chef genervt, hatte ich mich in einem Anflug von Tollkühnheit gemeldet und war drei Wochen später bei Erdal in ein seltsam möbliertes Zimmer gezogen. Bis heute habe ich nicht genau kapiert, was Erdal eigentlich beruflich macht. «Dies und das», hat er mir wenig hilfreich erklärt. Jedenfalls steht er nie vor halb elf auf, und was immer er dann tut, so richtig viel kann er damit nicht verdienen, sonst müsste er wohl kaum für zweihundert Euro ein Zimmer untervermieten.
    So wie die Dinge jetzt liegen, werde ich wohl sehr bald wieder ausziehen.
    «Ich gehe zurück nach Hause, Erdal. Ich brauche meine gewohnte Umgebung. Sonst halte ich das nicht aus.»
    «Woher kommst du eigentlich?»
    «Aus Hiltrup.»
    «Das liegt da ganz hinten an der polnischen Grenze, oder?»
    «Nein, im Münsterland.»
    «Ach so. Also weißt du, ich an deiner Stelle würde nicht so schnell aufgeben.»
    «Was meinst du denn damit? Du hast doch als Erstes Rotwein und

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