Blauer Montag
willst, dann lass uns einen besorgen. Wie wäre es, wenn wir uns gemeinsam einen zu Weihnachten schenken?« Er versuchte sich für die Vorstellung zu begeistern.
»Einfach so?«
»Einen Cockerspaniel, sagst du. Gerne.«
»Es war nur so eine Idee.«
»Wir können ihm einen Namen geben, je nachdem, ob es eine Sie oder ein Er ist. Vielleicht nehmen wir ein Männchen. Dann wäre ich für Billy, Freddie oder Joe.«
»So habe ich es nicht gemeint. Ich hätte den Mund halten sollen.«
»Entschuldige, es liegt an mir. Ich bin nicht …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Irgendwie wusste er selbst nicht so recht, was er nicht war.
»Ich wünschte, du würdest mir erzählen, was passiert ist.«
»So ist das nicht. Ich kann es nicht erklären.«
Inzwischen waren sie wieder am Spielplatz gelandet, als würden sie wie magisch von ihm angezogen. Die Schaukeln und die Wippe waren leer. Alan blieb stehen. Er entzog ihr seinen Arm und umklammerte mit beiden Händen das Geländer. Ein paar Augenblicke blieb er reglos stehen, dann presste er plötzlich eine Hand flach auf die Brust.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Carrie.
»Ich fühle mich so seltsam.«
»Auf welche Weise seltsam?«
»Das kann ich nicht sagen. Einfach seltsam. Als stünde ein Sturm bevor.«
»Was denn für ein Sturm?«
»Warte.«
»Nimm meinen Arm. Stütz dich auf mich.«
»Warte einen Moment, Carrie.«
»Sag mir, was du spürst. Hast du Schmerzen?«
»Ich weiß nicht«, flüsterte er. »Das Gefühl ist in meiner Brust.«
»Soll ich einen Arzt rufen?«
Er stand inzwischen vornüber gebeugt, sodass sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte.
»Nein. Lass mich nicht allein.«
»Ich hab mein Handy dabei.« Sie fummelte unter ihrem dicken Mantel herum, bis sie das Handy aus der Hosentasche gefischt hatte.
»Mein Herz schlägt so heftig, dass ich das Gefühl habe, als würde es mir gleich die Brust zerreißen.«
»Ich rufe einen Krankenwagen.«
»Nein. Es vergeht gleich. Es vergeht immer ganz schnell.«
»Ich kann doch nicht einfach danebenstehen und zusehen, wie du dich quälst!«
Sie versuchte, einen Arm um ihn zu legen, was aber wegen seiner gekrümmten Haltung schlecht ging, so dass sie sich völlig nutzlos vorkam. Sie hörte ihn wimmern. Einen Moment verspürte sie den starken Drang, einfach davonzulaufen und ihn, gebückt und hoffnungslos, wie er war, in der Dämmerung stehen zu lassen. Natürlich brachte sie das nicht übers Herz. Außerdem spürte sie, dass das, was ihn im Griff hatte – was auch immer es sein mochte –, allmählich nachließ. Schließlich konnte er sich wieder aufrichten. Carrie sah die Schweißtropfen auf seiner Stirn, doch als sie nun seine Hand nahm, war sie kalt.
»Besser?«
»Ein wenig. Tut mir leid.«
»Du musst etwas dagegen unternehmen.«
»Das wird schon wieder.«
»Nein, ganz im Gegenteil, es wird schlimmer. Glaubst du, ich höre dich nachts nicht? Und deine Arbeit beeinträchtigt es auch. Du musst zu Dr. Foley gehen.«
»Bei dem war ich doch schon. Er verschreibt mir nur wieder diese Schlaftabletten, die mich völlig außer Gefecht setzen. Wenn ich die nehme, fühle ich mich am nächsten Tag wie verkatert.«
»Du musst noch einmal mit ihm reden.«
»Er hat mich von Kopf bis Fuß durchgecheckt. An seiner Miene habe ich gemerkt, dass es mir nicht schlechter geht als den meisten anderen Leuten, die ihren Arzt aufsuchen. Ich bin einfach nur müde.«
»So ein Zustand ist doch nicht normal. Versprich mir, dass du zum Arzt gehst. Alan?«
»Wenn du unbedingt meinst.«
3
V on ihrem Platz auf dem roten, mitten im Raum platzierten Lehnstuhl konnte Frieda verfolgen, wie die Abbruchbirne drüben auf der anderen Straßenseite, wo sich eine große Baustelle befand, in die alten Gebäude schwang. Ganze Hausmauern erzitterten und stürzten dann in Brocken zu Boden. Innenwände wurden plötzlich zu Außenwänden, und Frieda entdeckte gemusterte Tapeten, ein altes Poster, ein Stück von einem Regal oder einem Kaminsims. Bisher verborgene Leben waren auf einmal für alle sichtbar. Den ganzen Vormittag schaute sie diesem Treiben nun schon zu. Ihre erste Patientin, eine Frau, deren Ehemann zwei Jahre zuvor überraschend gestorben war und deren Kummer und Schock nie nachgelassen hatten, saß in gebeugter Haltung und laut schluchzend vor ihr. Das hübsche Gesicht der Frau war vom vielen Weinen schon ganz rot und verquollen. Obwohl Friedas ganze Aufmerksamkeit ihrer Patientin galt, bekam sie dennoch aus dem
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