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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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richtigen Worte zu finden, brachte am Ende aber nur heraus: »Irgendwie bin ich mir so fremd.« Anders konnte er es nicht ausdrücken,
und jedes Mal, wenn er diese Formulierung gebrauchte, hatte er das Gefühl, ein Loch in sein eigenes Inneres zu bohren. Einmal hatte er Carrie gegenüber ausgerufen: »Ich bin gar nicht mehr ich selbst!« Schon damals war ihm aufgefallen, wie seltsam das klang.
    Dr. Foley ließ seinen Stuhl herumschwingen und betrachtete ihn. »Bereitet Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Kummer?«
    Alan mochte es nicht, wenn der Arzt nur auf seinen Computer starrte, aber es war ihm immer noch lieber, als derart gemustert zu werden: als könnte der Doktor in sein Innerstes hineinblicken und dort Dinge entdecken, von denen Alan gar nichts wissen wollte. Was sah er dort drinnen?
    »Als ich noch viel jünger war, hatte ich oft so ein Gefühl von Panik. Ich fühlte mich ganz einsam, wie in einem Albtraum. Als wäre ich der einzige Mensch im Universum. Als würde mir etwas Wichtiges fehlen. Aber ich wusste nicht, was. Nach ein paar Monaten legte sich das wieder. Jetzt geht es von Neuem los.« Er wartete, aber Dr. Foley reagierte nicht. Alan hatte den Eindruck, dass seine Worte bei dem Arzt gar nicht angekommen waren. »Damals war ich am College«, fuhr er fort. »Vielleicht sind solche Probleme in dem Alter ja ganz normal. Und jetzt habe ich wahrscheinlich so eine Art Midlife-Crisis. Blöd, ich weiß.«
    »Die Medikamente wirken offenbar nicht. Ich hätte gern, dass Sie jemand anders aufsuchen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Jemanden, mit dem Sie reden können. Über Ihre Gefühle.«
    »Sie glauben, das spielt sich alles nur in meinem Kopf ab?« Vor seinem geistigen Auge sah er sich mit wild verzerrter Miene wie einen Verrückten wüten, weil die Gefühle, die er die ganze Zeit tief in seinem Inneren unter Verschluss zu halten versuchte, plötzlich aus ihm hervorbrachen und ganz und gar von ihm Besitz ergriffen.
    »Das kann sehr hilfreich sein.«

    »Ich brauche keinen Psychiater.«
    »Probieren Sie es aus«, widersprach Dr. Foley. »Wenn es nicht funktioniert, ist ja nichts verloren.«
    »Ich kann mir das finanziell gar nicht leisten.«
    Dr. Foley tippte erneut etwas in seinen Computer. »Sie bekommen eine Überweisung. Die Behandlung kostet Sie nichts. Allerdings wird es eine ziemliche Fahrerei werden, aber diese Leute sind wirklich gut. Man wird sich wegen eines Termins für eine erste Beurteilung mit Ihnen in Verbindung setzen. Dann sehen wir weiter.«
    Das klang so ernst. Alan wäre es lieber gewesen, Dr. Foley hätte ihm ein anderes Medikament verschrieben und damit seine Zustände beseitigt – wie einen Fleck, den man einfach wegwischen konnte, ohne dass eine Spur zurückblieb. Ratlos legte er die Hand ans Herz und spürte wieder dieses schmerzhafte Rasen. Er wünschte sich doch nur, ein ganz normaler Mann mit einem ganz normalen Leben zu sein.
     
    Es gibt einen Ort, wo man sehen kann, ohne gesehen zu werden. Man braucht nur mit einem Auge durch ein kleines Loch im Zaun zu spähen. Es ist gerade Pause. Sie strömen aus ihren Klassenzimmern und rennen über den Hof. Jungs und Mädchen in allen Hautfarben und Größen. Schwarz und braun und rosa. Mit blondem Haar und dunklem Haar und sämtlichen Nuancen dazwischen. Manche sind fast schon erwachsen, pickelige Jungen mit linkischen Füßen und Mädchen, unter deren dicken Wintersachen bereits Brüste sprießen. Solche kommen nicht in Frage. Manche aber sind noch ganz klein. Mit ihren dünnen Beinchen und ihren Babystimmen wirken sie kaum groß genug, um schon von ihren Müttern getrennt zu sein. Das sind diejenigen, nach denen man Ausschau halten muss.
    Auf dem Schulhof nieselt es, und auf dem Boden sind überall Pfützen. Nur ein paar Schritte entfernt springt ein kleiner Junge mit kurz geschorenem Haar mitten in eine dieser Pfützen
hinein und verzieht dann grinsend das Gesicht, weil es so schön geplatscht hat. Ein Mädchen mit strohblonden Zöpfen und dicken, beschlagenen Brillengläsern steht in der Ecke und beobachtet die anderen. Die Kleine schiebt sich den Daumen in den Mund. Zwei winzige asiatische Mädchen halten sich an der Hand. Ein untersetzter weißer Junge tritt nach einem mageren farbigen Jungen und rennt davon. Ein paar Mädchen flüstern sich gehässige Bemerkungen zu, lachen höhnisch und blicken dann mit fies funkelnden Augen zur Seite.
    Doch sie alle sind nur Teil einer wuselnden Menge. Niemand sticht besonders hervor. Noch nicht.

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