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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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Es gilt, weiter Ausschau zu halten.

4
    N achmittags um zwei verließ Frieda den Raum, den sie im zweiten Stock eines Wohnblocks gemietet hatte, und machte sich auf den Weg nach Hause. Durch die kleinen Nebenstraßen, die sich hinter den großen Verkehrsadern der Stadt verbargen, brauchte sie dafür nur sieben Minuten. Ein paar hundert Meter entfernt lag die Oxford Street mit ihrem Gedränge und ihrem Lärm, hier aber war kaum jemand unterwegs. Das gedämpfte Novemberlicht ließ alles grau und still wirken, wie auf einer Bleistiftzeichnung. Eiligen Schrittes marschierte Frieda dahin, vorbei an dem Elektrogeschäft, in dem sie immer ihre Glühbirnen und Sicherungen kaufte, an dem Zeitungskiosk, der rund um die Uhr geöffnet hatte, an den schwach beleuchteten Lebensmittelgeschäften und den Wohnhäusern, die nur wenige Stockwerke hoch waren.
    Frieda blieb erst stehen, als sie ihr Haus erreichte. Wie immer beim Heimkommen verschaffte es ihr ein Gefühl von Erleichterung, die Welt auszusperren, indem sie einfach die Tür hinter sich zuzog und den Geruch nach Sauberkeit und Sicherheit einsog. Als sie das Haus drei Jahre zuvor zum ersten Mal gesehen hatte, war ihr sofort klar gewesen, dass sie es haben musste – auch wenn es jahrelang vernachlässigt worden war und auf den ersten Blick schäbig und fehl am Platz wirkte, eingeklemmt zwischen die hässlichen Garagen zu seiner Linken und die Sozialwohnungen zu seiner Rechten. Nun, nachdem die Renovierungsarbeiten abgeschlossen waren, befand sich alles genau dort, wo es hingehörte. Selbst mit geschlossenen Augen wäre Frieda noch in der Lage, jeden einzelnen Gegenstand zu ertasten. Sogar die frisch gespitzten Bleistifte auf ihrem Schreibtisch.
Oder hier in der Diele den großen Stadtplan von London und die Garderobenhaken, wo ihr Trenchcoat hing. Auch drüben im Wohnzimmer, dessen Fenster auf die Straße hinausgingen, fände sie sich blind zurecht: Ein dicker Läufer lag auf den ansonsten blanken Bodendielen, und links und rechts von dem offenen Kamin, in dem sie von Oktober bis März jeden Abend Feuer machte, standen ein weicher Sessel und ein tiefes Sofa. In Fensternähe befand sich ein Schachtisch – das einzige Möbelstück, das sie je geerbt hatte. Das Haus war sehr schmal, es hatte lediglich die Breite eines einzelnen Raums. Eine steile Treppe führte hinauf in den ersten Stock, wo ein Schlafzimmer und ein Bad untergebracht waren, und von dort ging es noch steiler hinauf ins Dachgeschoss, das nur aus ihrem Arbeitsbereich bestand: einem Mansardenzimmer, in das durch ein Dachfenster ein wenig Licht fiel. Unter diesem Fenster stand ihr Schreibtisch, auf dem sie alle ihre Zeichenutensilien aufbewahrte. Reuben nannte ihr Zuhause gern ihre Räuberhöhle, manchmal sogar ihre Drachenhöhle (mit ihr als dem Drachen, der dafür sorgte, dass die Leute draußen blieben). In der Tat handelte es sich um eine recht dunkle Behausung. Viele Leute entfernten Zwischenmauern und vergrößerten die Fenster, um Licht und Luft hereinzulassen. Frieda hingegen bevorzugte kuschelige, kaum durchbrochene Räume. Sie hatte die Wände in satten Farben gestrichen, Weinrot und Flaschengrün, sodass das Haus sogar im Sommer düster wirkte, als befände es sich halb unter der Erde.
    Sie nahm die Briefe von der Türmatte und legte sie auf den Küchentisch, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Mitten am Tag machte sie ihre Post grundsätzlich nicht auf. Manchmal dachte sie eine ganze Woche oder noch länger nicht daran, bis die Leute schließlich anriefen, um sich zu beschweren. Wobei sie ihren Anrufbeantworter ebenfalls nur selten abhörte. Erst letztes Jahr hatte sie sich endlich dazu durchgerungen, so ein Ding zu erstehen, weigerte sich jedoch nach wie vor
hartnäckig, sich ein Handy zuzulegen – sehr zum Befremden all jener Menschen in ihrer Umgebung, die nicht begriffen, wie man ohne überhaupt existieren konnte. Frieda aber wollte vermeiden, dass jeder sie nach Belieben mit irgendwelchen Mitteilungen oder Forderungen belästigen konnte. Sie hatte keine Lust, ständig für alle erreichbar zu sein, sondern schnitt sich gern mal ab von den ach so dringenden Belanglosigkeiten der Welt. Wenn sie allein war, wollte sie sich auch so fühlen: ohne Kontakt und völlig losgelöst.
    Ihr blieben dreißig Minuten bis zu ihrem nächsten Termin. Oft aß sie im Café ihrer Freunde in der Beech Street Nr. 9 zu Mittag, aber heute war ihr nicht danach. Sie bereitete sich eine schnelle Mahlzeit zu: Toast

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