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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Afghanistan ein. Von einem Moment zum nächsten hat Ihr Vater daraufhin den Job in der Sortierfabrik hingeschmissen und sich auf den Weg gemacht. Von Hamburg nach Kabul mit einem alten Motorrad aus Beständen der britischen Armee.«
    Janne kennt die Geschichte. Sie hat sogar Fotos gesehen: ihr Vater und sein Motorrad am Meer, vor schroffer Bergkulisse auf einsamen Passstraßen, vor einer Moschee in Persien.
    »In Afghanistan wurde Paul mit großem Tamtam empfangen und wie ein Familienmitglied aufgenommen. Er und der Fürst kamen überein, dass Paul im Freihafen eine Importfirma gründen und künftig exklusiv für den gesamten Clan den Vertrieb von Naturdärmen, Schaf- und Ziegenhäuten übernehmen sollte, gegen beträchtliche Provision, versteht sich.«
    »Ich weiß von dieser Firma«, sagt Janne.
    »Wissen Sie auch, dass Paul den Mann betrogen hat, der wie ein Vater zu ihm gewesen ist?«
    Janne verneint.
    »Hat er aber. Und dieser Betrug lässt ihn bis heute nicht ruhig schlafen. Ich glaube, deswegen engagiert er sich so sehr für die Gemeinde. Um Schuld abzutragen. Denn der klassische Kirchgänger ist er nicht.«
    »Was genau hat er getan?«
    Friederike Reemts stellt den Becher auf den Boden und reibt ihre Handflächen an den Oberschenkeln. »Es wäre ihm bestimmt nicht recht, wenn ich darüber rede. Er schämt sich so sehr. Können wir es nicht dabei bewenden lassen?«
    »Nein, das geht nicht.«
    Die Pastorin schaut auf die Uhr. »Gleich tagt der Bibelkreis der Senioren. Wir müssen zum Schluss kommen.« Sie öffnet ihr Haarband und flicht den unteren Teil des Zopfes neu. Offengetragen dürfte ihr das Haar bis zu den Hüften reichen. Ein neuer Geruch streift Janne. Der Duft von Apfelshampoo. Sie kann sich vorstellen, wie sehr ihr Vater daran Gefallen findet. Beim Flechten fängt Friederike Reemts wieder an zu summen, als wäre es die normalste Sache der Welt, eine Unterhaltung auf diese Weise zu beenden.
    »Ich frage das alles nicht aus Neugier, sondern im Interesse meines Vaters. Es ist wichtig, vielleicht sogar überlebenswichtig. Das müssen Sie mir glauben«, sagt Janne.
    Der Zopf sitzt. »Sie sind genau wie Paul. Er gibt sich auch mit keinem Nein zufrieden«, sagt Friederike Reemts. »Also gut. Vielleicht ist es sogar besser, wenn Sie Bescheid wissen. Im Grunde war es schlimmer als ein Betrug. Ein Diebstahl. Paul flog regelmäßig nach Afghanistan, um den Fürst zu besuchen. Der war trotz seines Reichtums ein einfacher Mann geblieben, der die Angewohnheit hatte, Geschäfte per Handschlag zu besiegeln. Und er traute den Banken nicht. Jedes Mal, wenn er Paul eine größere Summe für irgendeine Investition zur Verfügung stellen wollte, gab er ihm das Geld bar mit auf den Weg nach Hamburg. In zerknitterten Dollarscheinen, die Paul überall an seinem Körper versteckte. Zuletzt mehr als hunderttausend Mark - umgerechnet. Davon sollte er im Freihafen eine moderne Sortieranlage bauen, was er nicht tat. Die Versuchung war zu groß. Noch nie hatte er so ein Vermögen in den Händen gehalten. Er behielt es, holte seine eigenen Ersparnisse von der Bank und kaufte die Werft in Cuxhaven.«
    Janne ist geschockt. Von allen Geschichten, die sie über ihren Vater gehört hat, ist dies die hässlichste. Kein waghalsiges Abenteuer, kein Husarenstück aus der Kategorie Bandit mit Herz. Geld zu behalten, das ihm ein Freund und Ziehvater anvertraut hatte - wie konnte er so tief sinken?
    »Einige Jahre später hat er jeden Cent mit Zins und Zinseszinszurückgezahlt«, versucht Friederike Reemts, ihn zu verteidigen. »Und als in Afghanistan Krieg ausbrach und einige der Clanmitglieder Schwierigkeiten mit den Taliban bekamen, besorgte er ihnen Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland.«
    »Haben mein Vater und der Fürst sich ausgesöhnt?«
    »Bedauerlicherweise nicht. Soweit ich weiß, ist der Fürst in den achtziger Jahren gestorben, ohne Paul jemals verziehen zu haben. Er sagte, wäre er damals zu ihm gekommen, um ihn um ein Darlehen für den Kauf der Werft zu bitten, hätte er es ihm gegeben. Pauls Verfehlung hat ihn entehrt.«
    »Also keine Versöhnung, obwohl mein Vater seine Schulden beglichen hat?«, fragt Janne nochmals.
    »Es gibt Dinge, die sind nicht wiedergutzumachen. Das Geld spielte ja nur eine Nebenrolle, entscheidend für den Fürsten war der Ehrverlust. Schließlich hatte er mit Paul sozusagen eine Natter an seiner Brust genährt, was seine Stellung im Familienclan mit Sicherheit erheblich schwächte. Dazu kam die

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