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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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Musiklehrer abgeholt worden war und man davon ausgehen müsse, dass sie sich immer noch bei ihm befand. Dann hatte sie Mattusch angerufen, der ihr schnell klarmachte, dass er die Geschichte mit Gerlach und Leonie zwar auch nicht ganz koscher, um nicht zu sagen beunruhigend fand, dass ihm zu diesem Zeitpunkt aber die Hände gebunden seien. Offiziell etwas unternehmen könne er frühestens in zwei Stunden, also ab 22 Uhr. Er versprach allerdings, jemanden ein weiteres Mal in Gerlachs Wohnung vorbeischauen zu lassen.
    »Tja, und dann hab ich bei Ihnen angerufen, Kascha. Jetzt kennen Sie die ganze Geschichte. Und wissen Sie was? – Eigentlich hatte ich mich kurz vor dem Anruf der Kovács gerade damit angefreundet, einen ruhigen Abend zu verbringen.«*
     
    Niemand weiß, wo du bist. Niemand kann dich aus deinem Rhythmus reißen, niemand kann dich in der Siesta stören, niemand kann dir ein Gespräch aufzwingen, wenn du es nicht willst. Die telefonische Unerreichbarkeit war für Gloßner stets ein höchst angenehmer Nebeneffekt seines Urlaubsdomizils gewesen. Die Wirtsleute hat er jedes Jahr darauf eingeschworen, ihn um Himmels willen niemals sofort ans Telefon zu holen, falls tatsächlich einmal ein Anruf käme, sondern stets zu verkünden, er sei gerade unterwegs und rufe am Abend zurück. Oder am nächsten Tag.
    Aber als er jetzt durch den Obstgarten auf das Zöllnerhaus zustapft, ist der kurze Anflug schlechter Laune ob der lästigen Berührung mit der Großstadtwelt, die er selbst ausgelöst hat, einem nervösen Kribbeln gewichen – und diese Empfindung muss er jetzt nur noch auf den Vašek übertragen, sobald er ihn aufgespürt hat, aber letzteres dürfte die einfachste Detektivarbeit des heutigen Abends sein, einfacher, als das Handy zu finden, das in irgendeinem Winkel der Küchentischschublade gelandet sein muss – oder doch in der Wohnzimmerkommode? Vašek liebt, mit wechselnden Prioritäten, Bier, Geselligkeit, Fußball und Tabak und hat den Gloßner an vielen Schafkopfabenden darüber aufgeklärt, dass den Tschechen das Gasthaus heilig sei, was sich im engen Zusammenhang zwischen den Wörtern  Hospodin  und  hospoda , Gott der Herr und das Gasthaus, ausdrücke.
    Endlich entdeckt Gloßner sein Handy auf dem Fensterbrett und schnappt sich die Autoschlüssel vom kleinen Ablagebrett neben der Haustür. Keine zehn Minuten später parkt er seinen Wagen in der Hauptstraße von Schönsee und steht somit tatsächlich auf dem Marktplatz, als ihn der angekündigte Anruf ereilt.
    »Moment, Moment! Das muss ich mir notieren.« Er legt sein Notizbuch auf das Autodach. »O.k., schießen Sie los, Frau Zoe. Bitte? Zoe ist Ihr Vorname? Auch gut.«*
     
    Vašek Skoˇcdopole wurde im Jahr 1946 im westböhmischen Dorf Babylon als Sohn einer deutschen Theresa und eines tschechischen Jaroslav geboren und wuchs mit der Vatersprache heran, denn niemals hätte ihm als Kleinkind in jener Zeit ein deutsches Wort entschlüpfen dürfen. Mit Václav gaben ihm seine Eltern den tschechischsten aller tschechischen Namen, und dass seine Mutter unter all den Koseformen, die für Václav existieren, Vašek wählte, mochte der klanglichen Verwandtschaft zu »waschecht« und also ihrem Wunsch, ihn zu einem waschechten Tschechen zu machen, geschuldet sein. Als er zwölf Jahre alt war, hielt ihn seine Mutter für reif genug, nach und nach auch die verbotene Sprache zu lernen, und als er weit genug war, bekam er die deutschen Bücher zu lesen, die im hintersten Winkel des Kellers versteckt waren. Deutsch wurde in einem ganz neuen Sinn seine Muttersprache, denn nur seiner Mutter gegenüber verwendete er sie. Erst später, als er als Zwanzigjähriger an ihrem Grab stand, begriff er, oder glaubte zu begreifen, dass seine Mutter ihn gebraucht hatte, um über ihr Heimweh hinwegzukommen, und dass es ihr auch mit ihm nicht gelungen war. Das Heimweh war in Wahrheit ein Sprachweh gewesen, denn geboren war sie in Domažlice und Böhmen war ihre Heimat; nur waren alle Deutschen im näheren Umkreis entweder über die nahe Grenze geflüchtet, Haus und Hof zurücklassend, oder nach dem Krieg tschechischen Rächerkommandos in die Hände gefallen.
    Und so wurde aus Vašek nach außen ein ganz normaler tschechischer Bürger, der die Volksschule und das Polytechnikum absolvierte, nebenbei den Beruf des Schusters erlernte, den auch sein Vater ausübte, auf die Polizeischule ging und sich pro forma zur KSˇC bekannte, aber in ihm blieb eine Sehnsucht nach dem Land,

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