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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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in dem alle Menschen so sprachen wie seine Mutter und das auf tschechisch ausgerechnet Stummland hieß. Einmal, da war er längst Polizeibeamter in Klatovy, hatte er mit seiner Frau gegen ihren Willen einen Sommerurlaub an der Ostsee verbracht und schon bei der Einreise in die DDR feststellen müssen, dass es offenbar ganz viele verschiedene Arten von Deutsch gab, und dass er, um seine wahre Muttersprache zu hören, den grenznahen und doch unerreichbar fernen Landstrich in Bayern aufsuchen müsste, wo, wie er wusste, Verwandtschaft seiner Mutter lebte.
    Dann kam das Wunder des Jahres 1989, er war Mitte vierzig, als die DeDeRony über Prag und Ungarn ihre Ausreise in den Westen und dadurch schließlich die Öffnung der Grenzen erzwangen. Noch im selben Winter machte er seinen ersten Ausflug nach Bayern, allein. Weitere Reisen folgten, doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis er in einem Gasthof bei Schönsee seine große Liebe kennenlernte. Er trennte sich von seiner Frau und ließ sich an einen Standort nahe der Grenze versetzen, und als ihm 2006 von einer Schussverletzung im Bein eine leichte Gehbehinderung blieb, zog er als Frühpensionär ganz nach Schönsee. Doch kurz darauf verunglückte seine Maria bei einem Autounfall, als hätte ihm der Himmel das späte Glück nicht gegönnt. Seither flatterte er wie ein Herbstblatt von Frau zu Frau, ohne neuen Halt zu finden.
    An jenem Samstagabend kommt für ihn kein anderer Ort in Frage als die Terrasse vom  Gasthof Haberl , wo mit Bier und Tabakrauch der Passivfußball zelebriert wird.
    »Sigi! Alter Lump!  Trefi mˇe šlak!  Scheen, dass dich umschaust!« sagt er in seinem merkwürdigen Idiom, das von den Sprachen beiderseits der Grenze gefärbt ist, und seine wasserblauen Augen leuchten. »Aber schafkopfen tuma heit net!«
    »Vašek, es brennt. Ich brauch dich ganz dringend. Komm mal mit, ich muss dir was erzählen.«
    Gloßner lotst Vašek in den dunkel getäfelten Gastraum, der, da Nichtraucherbereich, so gut wie leer ist, schiebt ihn an einen Tisch, setzt sich ihm gegenüber und beugt sich verschwörerisch nach vorn.
    »Pass auf. Erinnerst du dich an die Mordserie im Grenzland? Diese Russenmafiageschichte vor fünf Jahren. Unter den Opfern soll’s damals eine einzige Frau gegeben haben, und die –«
    »Ich erinnere mich gut. Ich hab damals sogar eine Zeit lang mit den Ermittlungen zu tun gehabt.« Vašek kann ohne Weiteres von slawisch gefärbtem Bayerisch auf ebenso gefärbtes Hochdeutsch umschalten. »Die Leichen lagen alle in dem Bereich zwischen Domažlice und Stˇríbro. Die Leiche der Frau in der Nähe von Horšovský Týn. Alle mit Draht stranguliert. Vielleicht liegen heute noch welche unentdeckt im Wald – die Tschechen sammeln nicht mehr so fleißig Pilze wie früher.« Vašek nimmt einen tiefen Schluck aus dem Bierglas. »Und was ist damit? Willst du bei mir ein Geständnis ablegen?«
    »Hör zu, ich frag dich nicht aus Gaudi. Die Sache ist die …«
    Gloßner setzt, gestützt auf seine Notizbucheinträge, zur Zusammenfassung einer Zusammenfassung an, komprimiert die Ereignisse und Ergebnisse der vergangenen viereinhalb Tage zu zehn Minuten, an deren Ende Vašek meint: » Dobˇre,  Sigi. Ich hab verstanden, dass deine Kollegen glauben, es besteht ein Zusammenhang zwischen der toten Nutte von damals und einem Verdächtigen von jetzt. Ich hab verstanden, dass dieser Verdächtige vielleicht gerade dabei ist, ein junges Mädchen zu entführen und in sein Haus in Tschechien zu bringen. Ihr wisst aber nicht, wo das Haus ist. Von der Schwester der vielleicht Entführten, die nicht ganz richtig im Kopf ist, habt ihr die komische Information ›blaues Licht‹ bekommen, ›weiße Kacheln‹ und ›sehr viele Scherben‹ – was sollen wir damit anfangen? Versteh mich nicht falsch, mein Freund, ich möchte wirklich gern helfen. Aber soll ich jetzt einen Kollegen von früher anrufen und um Fahndungshilfe ersuchen nach Scherben und einem blauen Irrlicht im Grenzland? Wir brauchen wenigstens irgendetwas Konkretes, eine Kleinigkeit nur, aber so ist es Stecknadel im Heuhaufen. Ist besser, wir trinken zusammen Bier und Fernet und schauen das Spiel, bis der Entführer hier vorbeischaut – die Chance, ihn zu schnappen, ist größer so!«
     
     
     
     
     

Gigue
    Das Fußballvirus hat auch den riesigen Komplex des Nordklinikums erobert. Hinter unzähligen Fenstern sieht man das helle Blau von Fernsehschirmen strahlen, hört die typischen Geräusche dieses

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