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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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gepflegter älterer Herr in einer Hollywoodschaukel, der über der Lektüre der   ZEIT   eingenickt ist.
    »Karl! Die Polizeikommissarin ist da – Frau … entschuldigen Sie. Jetzt hab ich Ihren Namen vergessen.«
    »Kandeloros. Zoe Kandeloros.«
    Herr Rißmann erhebt sich langsam und reicht ihr die Hand. Zoe hat das Gefühl, an einem Ort angekommen zu sein, wo die Bewohner einen Staudamm gegen die abfließende Zeit errichtet haben, bis zum Hals steht ihnen die Vergangenheit, und jede Bewegung darin kostet sie übermäßige Kraft. Ein Servierwagen wird sacht herangeschoben, darauf drei hohe Gläser, eine Karaffe gekühlten Tees, eine Karaffe Orangensaft.
    »Was möchten Sie uns fragen, Frau Kandeloros?«
    Zoe ist überrascht, ihren Namen unentstellt zu hören.
    »Wir haben uns ein Leben lang mit Sprache befasst«, lächelt Herr Rißmann. »Allerdings nicht mit Ihrer Muttersprache. Meine Frau war Gymnasiallehrerin für Englisch und Französisch, und ich hatte einen Lehrstuhl am Institut für Romanistik in Erlangen. Einmal die Woche bin ich noch dort und gebe die Einführung ins Altfranzösische.«
    »Das wollte die Kommissarin bestimmt nicht so genau wissen.«
    Der Einwurf von Frau Rißmann ist keineswegs ironisch oder bissig, vielmehr berührt sie liebevoll den Arm ihres Lebensmenschen. Viele Paare werden von Tragödien, wie die Rißmanns sie hinnehmen mussten, auseinandergetrieben. Manchen gelingt es, aneinander Halt und einen neuen, zärtlichen Zugang zueinander zu finden.
    Zoe sortiert in ihrem Kopf die Bilder von Moritz.
    »Er wirkt auf vielen Fotos sehr ernst. Fast unnahbar. War er wirklich so?«
    Die Rißmanns sind unschlüssig, wer das Wort ergreifen soll.
    »So war er   auch «, sagt Frau Rißmann. »Aber er konnte auch ganz herrlich blödeln. Es hat ihm einen Riesenspaß gemacht, die großen Pianisten zu parodieren. Einmal waren wir dabei, als er nach einem Schulkonzert so eine Darbietung gegeben hat. Moritz saß am Klavier, und seine Freunde haben gerufen: ›Mach mal den Gulda!‹ oder ›Mach mal den Brendel!‹, und sofort war er drin in der Rolle und hat mit diesen Glubschaugen, die der Brendel immer macht, und mit so einem feierlich-schmerzlichen Gesicht ein Schubert-Impromptu gespielt. Man konnte viel Spaß mit ihm haben.«
    Eine kurze Weile leuchten ihre Augen auf, dann verflackern sie wieder, und ihr Mann setzt das Gespräch fort.
    »Es war damals natürlich für uns wie für ihn ein furchtbarer Schock, als seine Eltern – unser Sohn und unsere Schwiegertochter – von ihrer Reise nach Schottland nicht mehr zurückkamen. Sie wollten einfach einmal zwei Wochen für sich haben. Und Moritz hat sich bei uns genauso wohl gefühlt.«
    »Vielleicht … vielleicht geschieht so etwas, wenn man zu glücklich ist? Wenn das Leben es für eine Zeit lang zu gut mit einem gemeint hat?« Frau Rißmann schluckt einige Male. »Das fragen wir uns heute noch manchmal.« Hilfesuchend sieht sie ihren Mann an, als hätte der just in diesem Augenblick die Antwort gefunden. »Aber Moritz hatte diese – Kraft, verstehen Sie? Er hatte sich damals monatelang in sich zurückgezogen. Eine ganze Weile gab es nur einen engen Freund, und auch den hat er selten gesehen. Außer in der Schule natürlich. Er hat viel Klavier gespielt. Oben, in seinem Zimmer, steht noch mal eins.«
    »Und irgendwann kam er spätabends von seinem Zimmer herunter, mit einer Mappe voller Notenblätter in der Hand, hat sich an den Flügel gesetzt und gespielt. Ein kleiner Zyklus von zwölf Stücken war das gewesen. Und es klang so – gleichzeitig modern und romantisch. Wie ein moderner Schumann. Und dann – was hast du dann zu ihm gesagt?«
    Herr Rißmann beugt sich leicht zu seiner Frau.
    »Ich hab ihn gefragt, was er denn da für einen Komponisten entdeckt hat, und er hat gesagt, so ein bisschen verlegen: ›Mich.‹«
    Selbst die roten Rosen im Garten scheinen neben dem heraufbeschworenen Moritz zu verblassen, rücken fern wie das Flugzeug, das den wolkenlosen Himmel in zwei Teile schneidet.
    »Was, glauben Sie, ist Moritz wirklich zugestoßen?«
    Frau Rißmann bittet, man möge sie kurz entschuldigen, und verschwindet ins Haus.
    »Entweder es war ein Unfall – dass er beim Spazierengehen aus irgendeinem Grund zu dicht ans Ufer gegangen und so unglücklich ausgerutscht und gestürzt ist, dass er benommen oder bewusstlos im Wasser lag. Oder es hat ihn jemand gestoßen.« Zoes Einwurf ahnend, hebt Karl Rißmann beide Hände. »Ich weiß schon. Es

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