Blaulicht
auftauchen.
Mattusch entscheidet sich für Apfelschorle, zieht eine Flasche und läuft ihm entgegen.
»Kalz, wo bleiben Sie denn? Ich hab Sie schon vor drei Stunden erwartet. Kommen Sie doch gleich mal mit in mein Büro. Was gibt’s Neues? Ähm – Kalz? Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
Der zieht ein Gesicht, als wolle er sagen: »Nichts ist in Ordnung«, aber die Antwort verkneift er sich und sagt stattdessen: »Wie man’s nimmt, Chef. Aus dem Staufert krieg ich jedenfalls nix mehr raus. Den haben sie heute früh kollabiert in seiner Zelle gefunden. Ein paar Stunden später ist er im Krankenhaus gestorben. Hab ich grad vom Zahorka erfahren. Da muss bei uns noch mal eine andere Variante von PepZero im Umlauf sein, angereichert mit ich weiß nicht was. Aber wohl absolut tödlich für bestimmte Leute oder unter bestimmten Umständen.«
Mattusch trommelt nervös auf seine Schreibtischunterlage.
»Mich interessiert jetzt hauptsächlich unsere Kovács.«
Nur zwei Minuten später kommt er aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Da hat jemand in einem Pilsener Klub den Gerlach auf dem Foto erkannt? Und das sagen Sie mir jetzt erst? Haben Sie nicht weiter nach ihm recherchiert? Sie müssen sich doch gefragt haben, warum der sich in Pilsen herumgetrieben hat.«
»Doch. Natürlich. Aber da kam ja die Sache mit dem Dealer dazwischen, den die Simaková und ich letzte Nacht geschnappt haben. Mit dem hatte ich noch den ganzen Vormittag zu tun. Deswegen hab ich die Simaková gebeten, recherchieren zu lassen, ob und wann sich der Gerlach in Pilsen ein Hotelzimmer genommen hat. Und sobald ich weiß, dass der definitiv dort war, ruf ich im Klinikum an und schau, dass ich den Mann heute noch zu sehen bekomme.«
»Sprechen Sie vorher noch mit Zoe – die sitzt nebenan und hat ebenfalls Neuigkeiten über Gerlach mitgebracht.«
Erst jetzt fällt Mattusch auf, was Kalz für einen ungewohnten Anblick bietet – zerknittert und schweißdurchtränkt.
»Und Sie wollen übermorgen wirklich an diesem Marathon teilnehmen in – wo war das noch mal?« rutscht es ihm heraus.
»Der Westzipfel-Marathon in Wegberg. Bei Mönchengladbach«, nickt Kalz matt.
*
Die Temperaturen waren noch weiter gestiegen und hatten irgendwann am Nachmittag zum zweiten Mal in dieser Woche die 35-Grad-Marke übersprungen. Die Stadt dampfte unter einer Glocke aus Hitze und Weltmeisterschaftsfieber. Schon seit Beginn dieser WM füllten und leerten sich die Straßen ganz im Rhythmus der Spiele in Südafrika, und als Zoe zurück ins Präsidium gefahren war, hatte Nürnberg fast wie eine Geisterstadt gewirkt – in Port Elisabeth spielten die Niederländer gerade gegen Brasilien im Viertelfinale.
Im Wetterbericht wurde der Durchzug von kühleren Luftmassen für Sonntag angekündigt, für den Samstag aber die heißesten Temperaturen in diesem Monat: 35 bis 38 Grad, es würde also in jedem Fall heiß hergehen beim Duell Deutschland – Argentinien, hatte der Radiosprecher prophezeit und Zoe damit ein gequältes Stöhnen entlockt.
Zurück im Büro hatte sie sich gleich ans Protokoll gemacht, war aber immer wieder ins Stocken geraten. Obwohl sie gut im Formulieren war und dafür auch schon während ihrer Ausbildung so manches Lob eingeheimst hatte, fiel es ihr dieses Mal schwer, die richtigen Worte zu finden. Aus Mattuschs Büro hatte sie ein Telefonat mitbekommen, offenbar gab es wieder Schwierigkeiten mit der Staatsanwaltschaft, und kurz darauf hörte sie den Dezernatsleiter mit Kalz sprechen – er war also aus Pilsen zurück. Während sie, dankbar für die akustische Ablenkung, die Ohren gespitzt hielt, glotzte sie das fahlblau flimmernde Auge des Computermonitors ebenso abweisend wie abwartend an. Kalz’ Tonfall konnte sie entnehmen, dass die Ermittlungen in Tschechien wohl nicht so verlaufen waren, wie er gehofft hatte.
Ihr Schwager hatte oft darauf beharrt, dass die Sitte die härteste aller Kripoabteilungen war, und sie hatte ebenso oft darüber gelächelt. Selbst ihre eigenen, zugegebenermaßen rudimentären Erfahrungen während ihrer Praktikumszeit hatten sie nicht vom Gegenteil überzeugen können. Aber seit diesem Nachmittag bei Jana und Cleo ahnt sie, dass sie nur die winzige Spitze eines gewaltigen, düsteren Eisberges gesehen hat, der in einem bodenlosen, tintenschwarzen Meer treibt. Bevor sie sich widerwillig ans Tippen macht, schreibt sie Kascha eine SMS – sie muss unbedingt heute noch mit ihr reden. Just in diesem Augenblick betritt
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