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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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nicht auf.
    »Nein. Sie liegt auf der 39 E. Das ist die toxikologische Intensivstation. Da wird sie den ganzen Tag von einem Polizisten bewacht. Angeblich kommt sie nächste Woche in die forensische Klinik. Soll ich Ihnen eine Tasse Tee eingießen?«
    »Bitte.« Gerlach sinkt in das Kissen. »Sag mal, Sebastian – bist du eigentlich am Wochenende auch hier?«
    »Am Sonntag nicht. Aber morgen. Ich muss für einen kranken Kollegen einspringen. Ausgerechnet morgen!«
    »Was soll das heißen?«
    »Na – morgen Nachmittag ist doch das Viertelfinale! Deutschland – Argentinien!«
     
    *
     
    Bäume haben Wurzeln. Doch wenn einem Menschen all seine Blätter abfallen, stürzt er in den Himmel und kehrt nie mehr zurück.
    Warum habt ihr Sandra ans Bett gebunden? Damit haltet ihr den Sturz nicht auf.
    Eine Frau kommt in den Raum. Sie lässt die Gurte wieder lösen.
    Dann spannt sie den Bogen und schießt.
    » Verstehen Sie mich, Frau Kovács? « steht auf dem Pfeil geschrieben. Er stürzt neben Sandra zu Boden.
    Die Frau geht im Zimmer auf und ab. Sandra liegt, ihr Atem fliegt.
    »Mein Name ist Halbritter. Katharina Halbritter.«
    Kann sie spüren, wie leicht Sandra ist?
    »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Aber dafür brauch ich auch Ihre Hilfe, Sandra.«
    Sandra ist so leicht, dass die Wände sie durch das Zimmer warfen. Fast durchsichtig ist sie über Scherben getanzt.
    » Ich möchte, dass Sie mir ein Zeichen geben, wenn Sie mich hören können. Nicken Sie mit dem Kopf. Oder bewegen Sie die Hand. Machen Sie irgendwas. Verstehen Sie mich? «
    Kann sie nicht spüren, wie schwer Sandra ist? So schwer und schwarz wie das Gegengewicht zur Welt, die von buntem Sommer überquillt.
    » Ich arbeite mit der Polizei zusammen und soll ein psychologisches Gutachten erstellen. Dabei geht es um Sie, Sandra – um Sie und Ihren ehemaligen Musiklehrer! Erinnern Sie sich, was Sie getan haben?«
    Schweiß kriecht über Sandras fahle Haut – ›zieht eine Spur aus Blut, zieht eine Spur aus Tränen.‹ Llorca, wie hat sie ihn geliebt! – in einem anderen Leben.
    »Wir wissen, dass Sie Drogen genommen hatten, aber ich glaube nicht, dass Sie es deshalb getan haben.«
    Der kleine Vogel singt nicht mehr, singt nimmer mehr, singt nimmer mehr! Ist stumm vom Ast gesunken.
    »Was haben Sie gefühlt, als Sie heute von der Schwester erfahren haben, dass es Herrn Gerlach gut geht und er sich auf dem Weg der Besserung befindet?«
    Schau an, ein sachtes Flackern, kleines Flämmchen. Kleiner Vogel fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht, Sandra!
    »Die Nachricht hätte Sie eigentlich erleichtern sollen, das hat sie aber nicht. Bedeutet das, Ihnen wäre lieber, Sie hätten ihn getötet? «
    » Sandra, bitte – ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie mir nicht helfen! Sie brauchen nur mit dem Kopf zu nicken oder zu schütteln: wäre es Ihnen lieber, Ihr Lehrer wäre tot?«
    Der Kopf stemmt sich gegen die Schwere, der Vogel lebt mit rasendem Herzen tief unten, so tief unten, so weit vom Licht. Klick, macht der kleine Kasten und fängt ein, was nicht zu hören ist, was Flüsterstimme übersetzt.
    »Frau Kovács reagiert zum ersten Mal und bejaht die Frage mit einem Nicken.«
    »Das haben Sie gut gemacht, Sandra, sehen Sie, es ist gar nicht so schwer.«
    Ganz leicht ist es, man schwebt, verliert Gewicht mit jedem Zentimeter. Nach oben will man, immer nur nach oben und bleibt doch stecken, krallt sich an glatte Wände, die keine Wände sind, rutscht, strampelt, flattert, sinkt.
    »Sandra, hatten Sie Angst vor Herrn Gerlach? Hat er Sie bedroht?«
    Nimm dich in Acht, nimm dich in Acht! Schweig stille! Blau ist die Flut und bitterkalt.
    »Sandra?«
    »Also gut, dann frage ich Sie noch eine letzte Frage – und Sandra, Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie sind nicht allein, alle Menschen hier werden Sie beschützen, das verspreche ich Ihnen. Gut? Sandra – hat Ihre Angst etwas mit Wasser zu tun?«
    Wie bleich du bist, wie starr, wie tot – Schneewittchen im gläsernen Sarg. Willst schreien, nicht wahr, willst brüllen ja, ja, ja! durch all den kalten Nebel – und bist doch wie gefroren, mein Herz. Mein trauriger, kleiner Vogel. Du bist nicht allein, auch wenn die Frau jetzt geht und nichts in ihrem kleinen Kasten hat als ein genicktes Ja und Schweiß und Zittern. Siehst du, in der glühenden Luft vor dem Fenster schwebt afrikanischer Wüstensand. Und wäre die Welt still, könnte man die blutigen Schreie von Vergrabenen hören.
     
    *
     
    Bevor Zoe und

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