Blaulicht
Kascha sich vor dem Eiscafé voneinander verabschiedeten, hatte Zoes Handy geklingelt – Auf der Reeperbahn nachts um halb eins – eine kleine Reminiszenz an Kommissar Thiel alias Axel Prahl aus dem Münsteraner Tatort. Zoe mag die skurrilen Geschichten um den bärbeißigen Kripomann Thiel und den versnobten Pathologen Börne und versucht, möglichst keine Folge zu versäumen. Ob sie sie nach dem heutigen Erlebnis allerdings jemals wieder anschauen kann, ohne dabei automatisch den muffigen Geschmack von Häckels Katzenkot-Kaffee auf der Zunge zu haben, ist mehr als fraglich.
Der Anruf kam von ihrem Schwager Mikis, der ihr einen Termin bestätigte, auf den sie ebenso neugierig wie ungeduldig wartete, und der sie trotzdem leicht nervös werden ließ. Kascha hatte ihr versichert, dass es sowieso besser wäre, wenn sie erst einmal allein zu Sandra Kovács ins Krankenhaus ginge und sie außerdem beruhigt, dass Dominas in den allermeisten Fällen nicht mit einer neunschwänzigen Katze auf Kripobeamtinnen losgingen. Eine knapp zwanzigminütige Autofahrt später weiß sie nicht nur, dass die Psychologin mit ihrer Einschätzung absolut recht hatte, sondern auch, wo es den besten Eistee diesseits und jenseits der Pegnitz gibt.
Alles ist vollkommen anders, als Zoe es sich vorgestellt hatte, was mit großer Wahrscheinlichkeit auch an der frühen Stunde liegt. An einem grellen Sommernachmittag in einem Etablissement dieser Art auf einem dezent gemusterten Sofa zu sitzen und Eistee mit Pfefferminzblättern zu schlürfen, entspricht so gar nicht ihren Erwartungen. Auch die Frauen sind vollkommen anders, als sie angenommen hatte. Sicher, in ihrer Ausbildung hatte sie auch ein Praktikum bei der Sitte gemacht, dabei aber die meiste Zeit am Schreibtisch gesessen und Aussageprotokolle getippt, einige Male hatte sie ein Kollege mit zum Autostrich genommen, und auch das eine oder andere Bordell kennt sie von innen. Hier ist alles anders, und das Erstaunen darüber steht ihr offenkundig ins Gesicht geschrieben.
»Sie sind zum ersten Mal in einem SM-Studio, stimmt’s?«
Jana schaut sie mit freundlichen hellbraunen Augen an, ihre nassen Haare hat sie zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr rechts und links über die Schultern fallen, aus den Spitzen tropft Wasser auf das weiße Longshirt mit Babykatzenmotiv. Jana heißt eigentlich Andrea Meinrad, genauso wie Cleo nicht Cleo heißt, sondern im normalen Leben, das heißt von ihrem Mann, ihren Eltern und ihren Freunden, Michaela gerufen wird. Aber erstens, wird Zoe erklärt, kämen solche null-acht-fünfzehn-Namen bei den Kunden nicht gut an, und zweitens hilft diese zweite Identität bei der Rollenfindung.
»Und genau darum geht’s in diesem Gewerbe«, erklärt Jana, »Rollen. Wir spielen alle unsere Rollen. Hier genauso wie draußen, nur machen wir es hier – deutlicher.«
Zoe denkt eine Weile nach, bevor sie die Frage stellt, die ihr auf den Nägeln brennt und so überhaupt nichts mit dem Fall zu tun hat, aber wenn sie schon einmal hier ist, will sie sie auch loswerden.
»Macht es Ihnen denn Spaß, Männer zu schlagen?«
»Na klar«, prustet Cleo los, »es gibt nicht Tolleres, als die Kerle so richtig zu vermö-hö-hö...!« ein gigantischer Lachanfall unterbricht ihren Satz und kurz darauf hockt Zoe mit zwei haltlos lachenden und nach Luft schnappenden Frauen um die dreißig in einem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer, das auch ihrer Mutter gefallen würde.
»Verstehen Sie, Frau Kommissarin«, versucht Jana, immer noch außer Atem, zu erklären, »das ist ungefähr genauso, wie wenn Sie einen Kaminkehrer fragen, ob es ihm Spaß macht, im Dreck zu wühlen, oder einen Chirurgen, ob er auf Blut und menschliche Innereien steht.« Langsam beruhigt sie sich wieder und fährt fort: »Was wir hier machen, ist unser Beruf, und das Schlagen gehört nun mal dazu, wie das Kaminkehren für den Kaminkehrer und das Rumschnippeln an menschlichen Körpern für den Chirurgen. Aber es ist nur ein Teilchen unter vielen, und es hat rein gar nichts mit dem zu tun, womit Sie sich in Ihrem Job jeden Tag beschäftigen müssen.«
»Sado-Maso ist eine Kunst«, ergänzt Cleo, »was wir hier machen hat mehr mit, na ja, man könnte es Psychohygiene nennen, zu tun als mit Gewalt, auch wenn die meisten Leute sofort an so was denken. Ich glaube, Sie sollten sich mal ein paar Dinge ansehen, dann verstehen Sie besser, was ich damit meine. Kommen Sie.«
In der nächsten knappen Viertelstunde erfährt
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