Blaulicht
Staatsanwalts, sondern auch die Zeit. Also fixiert er sich auf ein kleines Wort von Kalz:
»Allerdings …?«
»Was meinen Sie?«
»Sie sagten gerade ›allerdings‹, und das hat sich für mich so angehört, als ob es doch noch etwas gäbe, was Sie an dem Fall Sandra Kovács interessiert.«
Kalz nestelt am hellblauen Hemdkragen und an seiner Krawatte, ein Outfit, das er in mannigfaltigen Variationen bei jedem Wetter trägt, und das ihm entfernt das Aussehen eines Dressmans in einem Quellekatalog aus den Neunzigern gibt.
»Zahorka und die anderen Kollegen von der Droge gehen davon aus, dass dieses Zeug, was sie bei der Kovács gefunden haben, so etwas wie eine Ursubstanz ist, und dass die wiederum über die tschechische Grenze zu uns rüberwandert – das deckt sich auch mit den Nachforschungen auf tschechischer Seite. Hier wird sie dann gestreckt und in Diskotheken oder anderen Szenetreffs äußerst gewinnbringend weiterverkauft. Und genau das ist der Grund, weshalb mich die Kovács interessiert, allerdings nur insoweit, als ich von ihr wissen will, wann, wo und von wem sie sich ihren Stoff besorgt hat.«
Obwohl Mattusch seinen Hauptkommissar schon lange genug kennt, inklusive dessen Beharrlichkeit und nicht selten beängstigendem Ehrgeiz, ist er doch immer wieder überrascht über Kalz’ Fähigkeit, alles andere auszublenden, vom Tisch zu wischen wie lästige Krümel, wenn er sich einmal in einen Fall verbissen hat. Konkret geht es dieses Mal um einen mit großer Sicherheit osteuropäischen Drogenring und vier Tote innerhalb der letzten vier Wochen, die alle eine synthetische Droge im Blut hatten, die in der Szene als PepZero gehandelt wird. Zeitweise hatte Kalz sich mehr bei den Kollegen im Drogendezernat aufgehalten als an seinem eigenen Arbeitsplatz, und so lange die Personaldecke es zuließ, hatte Mattusch auch nichts dagegen einzuwenden, wenn er sich ausschließlich auf diesen Fall von offenbar organisierter Kriminalität konzentrierte. Das heißt aber nicht, dass dies auch so bleiben muss. Jedoch hat Kalz soeben ein gewisses Interesse am Fall Kovács eingeräumt, es würde nicht schaden, ihm zu signalisieren, dass sie beide im selben Boot sitzen, wenn auch auf verschiedenen Seiten. Und es würde ebenso wenig schaden, Kalz einmal wieder darauf hinzuweisen, dass Polizisten, egal ob mit Schlips oder mit Uniform, in erster Linie für die Menschen da sind.
»Haben Sie sich keinen Augenblick gefragt, warum ein Mädchen oder eine junge Frau so etwas tut? Jemanden am helllichten Tag abstechen?«
Kalz zuckt mit den Schultern. »Seit bekannt ist, was die intus hatte, frag ich mich das nicht mehr. Leute aus der Szene sind doch zu allem fähig.«
»Welche Szene meinen Sie da genau?« Mattuschs Blick heftet sich auf die kleine Wetterstation auf seinem Schreibtisch – noch nicht einmal zehn Uhr, und schon wieder ist die Temperaturanzeige auf knapp über 25 Grad geklettert, trotzdem strahlt Kalz etwas eigentümlich Kühles aus.
»Ich meine diese ganze Schwarzkittelabteilung. Anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sich einen sinnvollen Platz in der Gesellschaft zu suchen, meinen die doch alle, man kann sich vor dem Leben drücken, den ganzen Tag in der Gegend rumlungern, saufen, rauchen, Musik hören, die ein normaler Mensch keine fünf Minuten erträgt und jeden Mist einschmeißen, der in irgendwelchen Garagenlabors zusammengepanscht worden ist. Wenn der Karren dann endgültig im Dreck gelandet ist, lässt man sich in die Hängematte des Sozialstaats fallen und auf Steuerzahlerkosten wieder aufpäppeln. Tut mir leid, Chef, ich hab für diese Art Leute null Verständnis.«
Das ist so ein Augenblick, in dem Helmut Mattusch an den Säger denken muss. Bodo Säger, damals Oberstudienrat für Mathematik und Physik am Laufer Gymnasium, wegen dem er, Mattusch, ab der elften Klasse nach Hersbruck wechselte. Wenn beim Säger einer auf 4,55 stand, war die Fünf im Zeugnis besiegelt. Bei ihm gab es keine Gnadenabfrage, mit der man sich eventuell um die entscheidenden Notenzehntel hätte verbessern können. Schon damals hatte er sich gefragt, was jemanden wie den Säger dazu bewogen haben mochte, Lehrer zu werden, und bis heute weiß er keinen anderen Grund als die sichere Beamtenlaufbahn. Und jetzt, über dreißig Jahre später, ist er Vorgesetzter von Martin Kalz, der offenbar einem ganz ähnlichen Menschenschlag angehört.
»Darum geht es nicht, Kalz, und ehrlich gesagt ist es mir auch vollkommen egal,
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