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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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los.»
    Er hatte ihre wunde Stelle berührt. Mit plötzlicher, roher Ernsthaftigkeit sagte sie:
    «Ja wenn! Aber er hat sich ja nicht in mich verliebt!»
    «Sie meinen, George hat sich nicht in Sie verliebt? Halten Sie sich nicht selbst zum Narren, Ruth. Wenn Rosemary etwas zustieße, würde George sie vom Fleck weg heiraten.»
    (Ja, das war es gewesen. So hatte alles begonnen.)
    Victor beobachtete sie scharf.
    «Aber das wissen Sie ja genauso gut wie ich», sagte er.
    (Georges Hand auf ihrer Schulter, seine zärtliche, warmherzige Stimme – ja, das stimmte… Er verließ sich auf sie, er brauchte sie…)
    «Sie müssen mehr Selbstvertrauen haben, meine Liebe», sagte Victor sanft. «Sie könnten George doch um den kleinen Finger wickeln. Rosemary ist nur eine törichte kleine Puppe.»
    Es stimmt, dachte Ruth. Wenn es Rosemary nicht gäbe, könnte ich George dahin bringen, mich zu heiraten. Ich wäre gut für ihn. Ich würde gut für ihn sorgen.
    Mit einem Mal stieg eine blinde Wut in ihr auf, und ein leidenschaftliches Gefühl der Ablehnung ergriff von ihr Besitz. Victor Drake beobachtete sie amüsiert. Er genoss es, anderen Menschen Gedanken in den Kopf zu setzen. Oder ihnen, wie in diesem Fall, die Gedanken vorzuführen, die sie bereits im Kopf hatten…
    Ja, so hatte es begonnen – bei dieser zufälligen Begegnung mit einem Mann, der am nächsten Tag ans andere Ende der Welt reisen sollte. Die Ruth, die ins Büro zurückkehrte, war nicht mehr dieselbe wie die Ruth, die es verlassen hatte, auch wenn wohl niemand eine Veränderung in ihrem Verhalten oder ihrem Äußeren hätte wahrnehmen können.
    Kurz nach ihrer Rückkehr ins Büro rief Rosemary Barton an.
    «Mr Barton ist gerade zum Essen gegangen. Kann ich etwas ausrichten?»
    «Ach Ruth, seien Sie so lieb! Dieser schreckliche Colonel Race hat ein Telegramm geschickt, dass er nicht rechtzeitig zu meiner Party zurück sein kann. Fragen Sie George doch bitte, wen ich stattdessen einladen soll. Wir brauchen noch einen Mann. Vier Frauen sind wir schon – Iris darf dabei sein – ich wollte ihr etwas Gutes tun – und Sandra Farraday und – wer um Himmels willen war eigentlich die vierte? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern.»
    «Ich glaube, ich bin es. Sie waren so freundlich, mich einzuladen.»
    «Oh, natürlich! Ich hatte Sie total vergessen.»
    Rosemarys Lachen perlte leicht und glockenhell durchs Telefon. Sie konnte nicht sehen, wie Ruth Lessing rot wurde und sich ihre Gesichtszüge anspannten.
    Man hatte sie nur eingeladen, um ihr eine Gunst zu erweisen, George zuliebe! «Ach, nehmen wir deine Ruth Lessing dazu. Die freut sich und ist immer nützlich. Sieht ja auch ganz passabel aus.»
    In diesem Moment wusste Ruth Lessing, dass sie Rosemary Barton hasste.
    Sie hasste sie, weil sie reich und schön war und es sich leisten konnte, sich um nichts zu kümmern und dumm wie Bohnenstroh zu sein. Keine alltägliche Fron in einem Büro für Rosemary – stattdessen bekam sie alles auf einem goldenen Tablett serviert, Liebesaffären und einen Mann, der sie verehrte – so konnte sie in den Tag hineinleben.
    Hassenswerte, herablassende, hochnäsige, oberflächliche Schönheit…
    «Ich wünschte, du wärest tot», flüsterte Ruth Lessing leise in das stumme Telefon.
    Ihre Worte erschreckten sie. Sie passten so gar nicht zu ihr. Sie war nie leidenschaftlich gewesen, nie impulsiv, stets kühl, beherrscht, effizient.
    Was ist mit mir los?, fragte sie sich.
    An jenem Nachmittag hatte sie Rosemary Barton gehasst. Jetzt, nach Jahr und Tag, hasste sie sie immer noch.
    Eines Tages würde sie Rosemary Barton vielleicht vergessen können. Aber jetzt noch nicht.
    In Gedanken versetzte sie sich in jene Tage im November zurück.
    Wie sie dagesessen und das Telefon angestarrt hatte – und den Hass in sich aufsteigen spürte…
    Wie sie George Rosemarys Nachricht ausgerichtet hatte, in freundlichem, kontrolliertem Ton. Wie sie vorgeschlagen hatte, dass man ohne sie feiern sollte, damit die Zahl der Gäste gerade aufginge. Davon aber hatte George nichts wissen wollen!
    Wie sie am nächsten Morgen von der Abfahrt der San Cristobal Bericht erstattet hatte. Georges Erleichterung, seine Dankbarkeit.
    «Er ist also wirklich an Bord?»
    «Ja. Ich gab ihm das Geld erst, unmittelbar bevor die Gangway hochgezogen wurde.»
    Sie zögerte und erzählte dann:
    «Als das Schiff sich vom Kai entfernte, winkte er mir zu und rief: ‹Küsschen für George, ich trinke heute Abend auf sein

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