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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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seine Frage. Es verstand sich von selbst, dass sie ihm alles abnehmen würde.
    «In jeder Familie gibt’s ein schwarzes Schaf», sagte George.
    Sie nickte verständnisvoll.
    «Es geht um einen Cousin meiner Frau – ein elender Kunde! Seine Mutter hat er schon so gut wie ruiniert – die brave Seele hat seinetwegen die paar Aktien, die sie nur hatte, verscherbelt. Angefangen hat’s mit ‘nem falschen Scheck in Oxford. Das haben sie noch vertuschen können. Seitdem wird er in der Welt herumgeschickt, aber es gelingt ihm nicht, irgendwo Fuß zu fassen.»
    Ruth hörte ohne großes Interesse zu. Sie kannte solche Typen. Sie betrieben Orangenplantagen oder Hühnerfarmen, züchteten Rinder in Australien oder stiegen in den Handel mit neuseeländischem Gefrierfleisch ein. Nie brachten sie es zu etwas, hielten es nirgendwo lange aus, und von dem Geld, das man in diese Versager hineinsteckte, blieb nicht das Geringste übrig. Solche Typen hatten sie nie interessiert. Ihr Interesse galt dem Erfolg.
    «Er ist jetzt in London aufgetaucht und belästigt meine Frau. Sie hat ihn seit Schulzeiten nicht mehr gesehen, aber der Schurke hat immer ‘ne gute Geschichte auf Lager und hat sie nun um Geld angegangen. Das toleriere ich auf keinen Fall! Ich hab mich für zwölf Uhr mit ihm in seinem Hotel verabredet. Und ich möchte Sie bitten, für mich hinzugehen. Wissen Sie, ich will mit dem Kerl nichts zu tun haben. Ich kenne ihn nicht und lege auch keinen Wert darauf, ihn kennen zu lernen. Und ich möchte auf keinen Fall, dass Rosemary sich mit ihm trifft. Wenn der Kontakt über eine dritte Person läuft, kann man sich aufs Geschäftliche beschränken.»
    «Ja, das empfiehlt sich immer. An was für ein Arrangement haben Sie gedacht?»
    «Hundert Pfund in bar und ein Ticket nach Südamerika. Das Geld soll ihm erst an Bord des Schiffes ausgehändigt werden.»
    Ruth lächelte.
    «Sehr gut. So sind Sie sicher, dass er auch wirklich abreist.»
    «Ich sehe, wir verstehen uns.»
    «Es ist ja kein ungewöhnlicher Fall», sagte sie in neutralem Ton.
    «Das ist leider wahr, von der Sorte gibt’s viele.» Er zögerte. «Und – es macht Ihnen auch wirklich nichts aus?»
    «Aber nein.» Es schien sie sogar ein bisschen zu amüsieren. «Ich fühle mich durchaus fähig, die Angelegenheit zu erledigen.»
    «Sie sind zu allem fähig.»
    «Muss die Schiffspassage noch gebucht werden? Wie heißt er übrigens?»
    «Victor Drake. Das Ticket ist hier. Ich hab die Reederei gestern angerufen. Es ist die San Cristobal, die geht morgen von Tilbury ab.»
    Ruth nahm das Ticket, überprüfte mit schnellem Blick die Richtigkeit der Daten und steckte es in ihre Handtasche.
    «Das geht in Ordnung, ich kümmere mich darum. Zwölf Uhr – wie ist die Anschrift?»
    «Das Rupert, beim Russell Square.»
    Sie machte sich eine Notiz.
    «Meine Liebe, ich wüsste nicht, was ich ohne Sie täte –»
    Freundlich legte er eine Hand auf ihre Schulter; es war das erste Mal, dass er so etwas tat.
    «Sie sind meine rechte Hand, Ruth, mein zweites Ich.»
    Sie errötete vor Freude.
    «Ich bin kein Mann der großen Worte – hab alles, was Sie machen, wie selbstverständlich hingenommen – aber das ist es ja gar nicht. Sie wissen nicht, wie sehr ich Sie brauche –»
    Er wiederholte es:
    «– wie sehr. Sie sind das netteste, liebste, hilfreichste Mädchen auf der Welt!»
    «Hören Sie auf damit, Sie verwöhnen mich ja», lachte Ruth und versuchte, ihre Freude und Verlegenheit zu verbergen.
    «Aber ich meine es ernst! Sie gehören zum Geschäft, Ruth! Ohne Sie wäre das Leben völlig undenkbar.»
    Als sie hinausging, spürte sie, wie warm ihr ums Herz geworden war. Sie spürte es immer noch, als sie beim Hotel Rupert ankam.
    Es war ihr nicht peinlich, diesen Auftrag anzugehen; sie traute sich durchaus zu, mit ungewöhnlichen Situationen fertig zu werden. Traurige Lebensgeschichten und Leute, die damit hausierten, kamen bei ihr nicht an. Für sie war Victor Drake nur ein Punkt im Terminkalender, den es abzuhaken galt.
    Er war fast genau so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, nur weitaus attraktiver. Was seinen Charakter anging, machte sie sich nichts vor: Victor Drake hatte nicht viel Gutes an sich. Er war so kaltherzig und berechnend, wie man nur sein konnte, und verbarg es hinter einer Maske liebenswürdiger Verwegenheit. Worauf sie nicht gefasst gewesen war, war seine Gabe, in den Herzen anderer Menschen zu lesen, und die Leichtigkeit, mit der er auf der Klaviatur ihrer Gefühle

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