Blausäure
Anstalten, sich von ihr zu trennen. Auch wenn das um seiner Karriere willen so war und nicht aus Zuneigung zu ihr, so war es doch eine Tatsache. Er wollte sich nicht von ihr trennen.
Eines Tages würde die Verliebtheit vielleicht vergehen…
Was konnte er schließlich schon an dieser Frau finden? Gut, sie war attraktiv, sie war schön – aber das waren andere auch. Was fand er bloß an Rosemary Barton, wieso hatte er sich ausgerechnet in sie verliebt?
Sie war strohdumm, lächerlich – und nicht einmal – auf diesen Punkt kam Sandra immer wieder zurück – nicht einmal besonders amüsant. Wenn sie Esprit gehabt hätte, Charme oder eine besonders provokante Art – das waren die Dinge, mit denen man einen Mann fesseln konnte. Sandra hielt sich an dem Glauben fest, dass die Sache enden würde – Stephen würde ihrer überdrüssig werden.
Sie war überzeugt, dass er sich im Leben am meisten für seine Arbeit interessierte. Ihm war Großes bestimmt, und er wusste es. Er hatte einen glänzenden politischen Verstand, und er genoss es, von ihm Gebrauch zu machen. Das war seine Lebensaufgabe. Sobald die Verliebtheit schwand, würde er das doch bestimmt erkennen?
Nicht eine Sekunde lang zog Sandra in Erwägung, ihn zu verlassen. Nicht einmal der Gedanke daran kam ihr je. Sie gehörte ihm mit Leib und Seele, ob er sie nun nahm oder zum Teufel jagte. Er war ihr Leben, ihr Schicksal. Die Liebe brannte in ihr mit mittelalterlicher Glut.
Einmal hatte sie wieder Hoffnung geschöpft. Sie waren aufs Land nach Fairhaven gefahren. Stephen schien fast wieder der Alte zu sein. Sie spürte, wie sich ihre Gefühle füreinander erneuerten. Hoffnung keimte in ihr auf. Er brauchte sie immer noch, er genoss ihre Gegenwart, verließ sich auf ihr Urteil. Für den Augenblick war er den Klauen jener Frau entkommen.
Er sah glücklicher aus, schien wieder zu sich zu kommen.
Nichts war unwiederbringlich verloren. Er war dabei, mit der Sache fertig zu werden. Wenn er sich nur entschließen könnte, sich von jener Frau zu trennen…
Dann fuhren sie nach London zurück, und Stephen hatte einen Rückfall. Er sah abgehärmt aus, besorgt, krank. Er war unfähig, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.
Sie glaubte, den Grund dafür zu kennen. Rosemary wollte, dass er mit ihr fortging… Er war dabei, sich zu diesem Schritt zu entschließen – mit allem zu brechen, was ihm je wichtig gewesen war. So eine bodenlose Dummheit! Ein Wahnsinn! Er war doch der Typ Mann, bei dem die Arbeit immer an erster Stelle stehen würde – durch und durch britisch! Das musste er doch selber wissen, tief im Innersten – ja, aber Rosemary war sehr, sehr hübsch – und sehr, sehr dumm. Stephen wäre nicht der Erste, der seine Karriere einer Frau zuliebe opferte – und es hinterher bereute!
Bei einer Cocktailparty schnappte Sandra ein paar Worte auf, einen Satz:«… es George sagen – uns endlich entschließen.»
Kurz darauf erkrankte Rosemary an Grippe.
Wieder keimte ein Funken Hoffnung in ihrem Herzen auf. Vielleicht zog sich Rosemary eine Lungenentzündung zu – das sollte vorkommen bei Grippe – erst im letzten Jahr war eine junge Bekannte von ihr auf diese Weise gestorben. Wenn Rosemary sterben würde –
Sie versuchte erst gar nicht, den Gedanken zu verdrängen – sie war auch nicht entsetzt über sich selbst. Sie war mittelalterlich genug in ihren Gefühlen, um unbeirrt und ohne Schuldgefühle zu hassen.
Sie hasste Rosemary Barton. Wenn Gedanken töten könnten, hätte sie sie getötet.
Aber Gedanken töten nicht… Gedanken reichen nicht aus…
Wie wunderschön Rosemary an jenem Abend doch ausgesehen hatte, als ihr der blasse Fuchspelz in der Damengarderobe von der Schulter glitt. Schmaler und bleicher nach ihrer Krankheit – von einer Zartheit, die ihre Schönheit noch ätherischer erscheinen ließ. Sie hatte vor dem Spiegel gestanden und ihr Make-up aufgefrischt…
Sandra hatte hinter ihr gestanden und sie beide im Spiegel betrachtet. Ihr eigenes Gesicht sah aus wie gemeißelt, kalt, ohne Leben. Ohne jedes Gefühl, hätte man vielleicht gesagt – eine kalte, harte Frau.
Und dann hatte Rosemary aufgeschaut.
«Oh, Sandra, nehme ich den ganzen Spiegel ein? Ich bin gleich fertig. Diese schreckliche Grippe hat mich furchtbar runtergezogen. Ich sehe ja grässlich aus! Und ich fühle mich immer noch ziemlich kodderig und kopfschmerzig.»
«Hast du heute Abend auch Kopfschmerzen?», hatte Sandra mit ruhiger, höflicher Anteilnahme
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