Blausäure
jetzt auf der Hut, wachsam und kalt.
«Wie meinst du das?»
Sie lächelte ihn an, mit demselben bezaubernden Lächeln, das ihm einst den Kopf verdreht und seine Sinne in Aufruhr versetzt hatte. Jetzt erfüllte es ihn nur mehr mit Ungeduld.
«Leopard, Liebster, ich denke manchmal, wir sind doch dumm, mit diesem Versteckspiel weiterzumachen. Es ist irgendwie unwürdig. Lass uns zusammen weggehen! Lass uns aufhören, anderen etwas vorzuspielen! George wird mich freigeben und deine Frau dich, und dann können wir heiraten.»
Genau so hatte sie es gesagt – als bräuchte sie nur mit dem Finger zu schnipsen! Eine Katastrophe! Sein Ruin! Und sie begriff es noch nicht einmal!
«So etwas würde ich dir nie zumuten.»
«Aber Liebling, es macht mir doch gar nichts aus. Ich bin wirklich nicht sehr altmodisch.»
«Aber ich bin’s», dachte Stephen. «Ich bin es.»
«Ich glaube fest daran, dass die Liebe das Wichtigste auf der Welt ist. Es ist doch gleichgültig, was die Leute von uns denken.»
«Mir wäre es nicht gleichgültig, liebe Rosemary. Ein offener Skandal von der Sorte wäre das Ende meiner Laufbahn.»
«Aber wäre das denn so schlimm? Es gibt doch noch hundert andere schöne Dinge, die du machen kannst.»
«Nun mach mal einen Punkt!»
«Warum willst du überhaupt arbeiten? Ich habe schließlich eine Masse Geld. Eigenes Geld, meine ich, nicht das von George. Wir können in der ganzen Welt herumreisen, an die schönsten und entlegensten Orte – irgendwohin, wo vielleicht noch nie jemand war. Oder auf eine Insel im Pazifik – stell dir das einmal vor, die heiße Sonne und das blaue Meer und die Korallenriffe.»
Er stellte es sich vor. Eine Südseeinsel! So ein idiotischer Einfall! Für was für einen Mann hielt sie ihn eigentlich – etwa einen Nichtsnutz, der Strandgut sammelte?
Endlich waren ihm die Schuppen von den Augen gefallen. Ein hübsches Geschöpf mit dem Hirn einer Henne! Er war verrückt gewesen – vollständig verrückt. Aber jetzt war er wieder bei Verstand. Und er musste sehen, wie er aus diesem Schlamassel herauskam. Wenn er nicht aufpasste, ruinierte sie sein ganzes Leben.
Er sagte ihr all das, was hunderte von Männern vor ihm gesagt hatten. Dass sie Schluss machen müssten – er schrieb es ihr. Es sei nur fair ihr gegenüber. Er wolle sie nicht ins Unglück stürzen. Sie verstünde nicht, was er meinte – und so weiter und so fort.
Es war alles vorbei – er musste sie dahin bringen, dass sie es begriff.
Aber das war es gerade, was sie eben nicht verstehen wollte. So leicht kam er nicht davon! Sie betete ihn an, sie liebte ihn mehr denn je, sie konnte ohne ihn nicht leben! Für sie gab es nur eins: dass sie ihrem Mann die Wahrheit gestand und Stephen seiner Frau! Er erinnerte sich an die Kälte, die er gefühlt hatte, als er mit ihrem Brief in der Hand dasaß. Diese dumme Gans! Diese dumme, kleine Klette! Sie würde es fertig bringen, George Barton die ganze Geschichte auszuplappern, und dann würde George die Scheidung einreichen und ihn als Ehebrecher angeben. Und dann würde sich Sandra notgedrungen ebenfalls scheiden lassen. Darüber gab es für ihn keinerlei Zweifel. Sie hatte ihm einmal von einer Freundin erzählt und hatte mit schwachem Staunen gefragt: «Aber als sie herausfand, dass er ein Verhältnis mit einer anderen Frau hatte, was hätte sie da sonst tun können, außer sich von ihm trennen?» Das war es, was Sandra fühlen würde. Sie hatte ihren Stolz. Niemals würde sie ihren Mann mit einer anderen teilen.
Und dann wäre er erledigt, fertig – die Rückendeckung der einflussreichen Kidderminsters würde ihm entzogen. Es wäre die Sorte von Skandal, die er nicht überleben würde, auch wenn die öffentliche Meinung heute toleranter als früher war. Aber nicht in einem solch eklatanten Fall wie diesem! Lebt wohl, ihr Träume, ihr Ambitionen! Alles geborsten, alles in Scherben – und das nur wegen seiner verrückten Vernarrtheit in eine törichte Frau. Primanerliebe, mehr war es nicht gewesen. Primanerliebe zum falschen Zeitpunkt im Leben.
Er würde alles verlieren, was er aufs Spiel gesetzt hatte. Ein Scheitern voller Schmach und Schande!
Er würde Sandra verlieren…
Mit einem Schlag erkannte er, dass ihn dieser Verlust am meisten treffen würde. Er würde Sandra verlieren. Sandra mit ihrer hohen weißen Stirn und den klaren braunen Augen. Sandra, seine liebe Freundin und Kameradin, seine arrogante, stolze, loyale Sandra. Nein, er durfte Sandra nicht verlieren
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