Blausäure
gefragt.
«Nur ein bisschen. Du hast nicht zufällig ein Aspirin dabei?»
«Ich habe ein Cachet Faivre.»
Sie hatte ihre Handtasche geöffnet und eine Kapsel herausgeholt. Rosemary hatte sie dankend genommen.
«Ich stecke sie für alle Fälle in meine Tasche.»
Dieses kompetente, dunkelhaarige Mädchen, Bartons Sekretärin, hatte die kleine Transaktion beobachtet. Sie war an den Spiegel herangetreten und hatte einen Hauch Puder aufgetragen. Eine adrette junge Frau, beinahe hübsch. Sandra hatte den Eindruck, dass sie Rosemary nicht leiden konnte.
Dann hatten sie den Garderobenraum verlassen, Sandra voran, nach ihr Rosemary, dann Miss Lessing – ach, und natürlich die kleine Iris, Rosemarys Schwester, sie war auch da gewesen. Sehr aufgeregt, mit großen grauen Augen und einem weißen Schulmädchenkleid.
Sie waren hinausgegangen und hatten sich zu den Männern in der Halle gesellt.
Und der Oberkellner war herbeigeeilt und hatte sie an ihren Tisch geleitet. Sie waren unter dem großen, gewölbten Bogen hindurch ins Restaurant geschritten, und es gab nicht das geringste Anzeichen, nicht die allerkleinste Warnung für eine von ihnen, dass sie den Saal nicht mehr lebend verlassen würde…
Sechs
George Barton
R osemary…
George Barton senkte sein Glas und starrte ins Feuer. Wie eine Nachteule hockte er da.
Er hatte sich in eine weinerliche Stimmung hineingetrunken und war erfüllt von Selbstmitleid.
Was für ein hübsches Mädchen sie doch gewesen war! Und er immer verrückt nach ihr! Sie hatte es gewusst, aber er hatte stets befürchtet, dass sie ihn bloß auslachen würde.
Sogar als er ihr den ersten Heiratsantrag machte, tat er es mit wenig Überzeugung.
Holperte und nuschelte, wie ein Vollidiot.
«Du weißt ja, Mädchen, jederzeit – musst es nur sagen. Ich weiß ja, es hat keinen Sinn. Nicht mal ansehen tätest du mich. Bin immer der größte Tolpatsch gewesen. Und ‘nen kleinen Schmerbauch hab ich auch. Aber du weißt, was ich für dich fühle, oder? Ich meine – also, ich bin immer für dich da. Klar, dass ich keine Chance hab, aber wollte es mal gesagt haben.»
Und Rosemary hatte gelacht und ihn auf den Kopf geküsst.
«Du bist süß, George! Ich werd mich an dein Angebot erinnern, aber im Moment denke ich überhaupt nicht daran, zu heiraten.»
«Da hast du Recht», hatte er sehr ernst geantwortet. «Lass dir Zeit und guck dich gründlich um. Du hast die freie Wahl.»
Er hatte sich nie Hoffnungen gemacht – wirkliche Hoffnungen.
Deshalb war er auch so ungläubig gewesen, völlig verwirrt, als Rosemary ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihn heiraten wolle.
Natürlich liebte sie ihn nicht. Das wusste er durchaus. Sie gab es sogar ehrlich zu.
«Das verstehst du doch, nicht wahr? Ich möchte zur Ruhe kommen und einen Hausstand gründen – und mich glücklich und geborgen fühlen. Mit dir kann ich das. Ich habe es so satt, mich zu verlieben. Immer geht es schief und endet in einem furchtbaren Chaos. Ich mag dich, George. Du bist so nett und so ulkig und süß, und du betest mich an. Das ist es, was ich brauche.»
Ziemlich unzusammenhängend hatte er geantwortet:
«Beständigkeit führt zum Ziel. Wir werden so glücklich wie Könige sein.»
Nun, damit hatte er sich nicht gänzlich geirrt. Sie waren glücklich gewesen. Aber im Innern war er demütig geblieben. Er hatte immer gewusst, dass die Sache einen Haken hatte. Eine Frau wie Rosemary konnte auf Dauer nicht mit einem solchen Durchschnittstypen wie ihm zufrieden sein. Es würde Vorkommnisse geben! Also trainierte er für den Fall, dass es – Vorkommnisse gab! Er würde fest daran glauben, dass sie nicht von Dauer sein konnten. Rosemary würde immer zu ihm zurückkehren. Das musste er sich nur klarmachen, und alles wäre gut.
Denn sie hing an ihm. Ihre Zuneigung für ihn war beständig und unveränderlich. Sie existierte unabhängig von ihren diversen Flirts und Liebesgeschichten.
Er hatte sich darauf vorbereitet, ihre Affären hinzunehmen. Er hatte sich eingeredet, dass sie bei einer Frau von Rosemarys leicht beeindruckbarem Temperament und ihrer außergewöhnlichen Schönheit unvermeidlich seien. Womit er nicht gerechnet hatte, waren seine eigenen Reaktionen.
Eine harmlose Liebelei mit diesem oder jenem jungen Mann, das war nicht der Rede wert, aber als er zum ersten Mal witterte, dass ein Verhältnis tiefer ging –
Er hatte es sehr schnell bemerkt, hatte ihre Veränderung gespürt. Diese gesteigerte Hochspannung, die noch
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