Blausäure
– nein, nein… Alles andere, nur nicht das.
Der Schweiß brach ihm auf der Stirn aus.
Irgendwie musste er aus dieser Klemme heraus.
Irgendwie musste er es schaffen, dass Rosemary Vernunft annahm…
Aber wie? Rosemary und Vernunft – das passte nicht zueinander. Und wenn er ihr erzählte, dass er seine Frau schließlich immer noch liebte? Nein. Sie würde es ganz einfach nicht glauben. Sie war nun einmal so dumm. Hatte nur Stroh im Kopf. Eine besitzergreifende Klette. Und sie liebte ihn noch – das war das Unheil daran.
Eine blinde Wut ergriff von ihm Besitz. Wie konnte er sie nur ruhig stellen? Sie zum Schweigen bringen? Da half nur noch Gift, dachte er bitter.
Eine Wespe summte nahebei. Er schaute ihr gedankenverloren zu. Sie hatte sich in einem kristallenen Marmeladenglas verfangen und versuchte zu entkommen.
Wie ich, dachte er. Erst von Süße angelockt und jetzt – kommt er nicht mehr aus der Falle heraus, der arme Teufel.
Aber ihm, Stephen Farraday, würde es irgendwie gelingen, sich zu befreien. Zeit – er musste auf Zeit spielen.
Rosemary lag im Moment mit Grippe darnieder. Er hatte ihr die üblichen Genesungswünsche geschickt – und einen großen Blumenstrauß. Das gab ihm einen Aufschub. Nächste Woche waren Sandra und er bei den Bartons eingeladen, zu Rosemarys Geburtstagsfeier.
«Vor meinem Geburtstag will ich nichts mehr unternehmen», hatte Rosemary ihm mitgeteilt. «Es wäre George gegenüber zu grausam. Er freut sich wie ein kleines Kind darauf, der Gute. Wenn erst der Geburtstag vorbei ist, werden wir uns schon gütlich einigen.»
Angenommen, er sagte ihr mit aller Brutalität, dass es zu Ende war, dass er nichts mehr für sie empfand? Ihn fröstelte. Nein, das durfte er nicht wagen. Sie würde einen hysterischen Anfall kriegen und zu George laufen. Oder sogar zu Sandra. Er hörte schon ihre tränenerstickte, verwirrte Stimme.
«Er sagt, er macht sich nichts mehr aus mir, aber ich weiß, dass das nicht stimmt. Er macht dir etwas vor – versucht, loyal zu sein – aber du wirst mir sicherlich zustimmen: Wenn zwei Menschen sich lieben, gibt es nur eins: Ehrlichkeit! Deshalb bitte ich dich, gib ihn frei.»
Das war genau die Art Ekel erregender Unsinn, den sie absondern würde. Und Sandra würde voller Stolz und Verachtung sagen:
«Er kann seine Freiheit haben!»
Sie würde ihm nicht glauben – wie könnte sie auch? Wenn Rosemary ihr die Briefe zeigte – jene Briefe, die er ihr idiotischerweise geschrieben hatte. Der Himmel wusste, was darin stand. Jedenfalls genug, und mehr als genug, um Sandra zu überzeugen – Briefe, wie er sie ihr niemals geschrieben hatte –
Er musste sich etwas einfallen lassen – irgendetwas, womit er Rosemary zum Schweigen brachte. «Schade», dachte er, «dass wir nicht mehr im Zeitalter der Borgia leben…»
Ungefähr das Einzige, was Rosemary ruhig stellen würde, wäre Gift in ihrem Champagnerglas.
Ja, das hatte er wirklich gedacht.
Zyankali in ihrem Champagnerglas, Zyankali in ihrer Aben d handtasche. Depression nach einer Grippe.
Und auf der anderen Seite des Tisches Sandra, und wie sich ihre Blicke gekreuzt hatten.
Das war nun bald ein Jahr her – und er konnte es nicht vergessen.
Fünf
Alexandra Farraday
S andra Farraday hatte Rosemary Barton nicht vergessen. In ebendiesem Moment dachte sie an sie – sah sie vor sich liegen, wie sie über dem Tisch zusammengesackt war, an jenem Abend im Restaurant.
Sie erinnerte sich daran, wie ihr Atem gestockt hatte und mit welchem Blick Stephen sie, als sie aufschaute, gemustert hatte…
Hatte er die Wahrheit in ihren Augen gelesen? Hatte er den Hass gesehen, die Mischung aus Grauen und Triumph?
Fast ein Jahr war das her – und so frisch in ihrem Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen! Rosemary… Rosm a rin, das ist für treu’ Gedenken… Wie schrecklich wahr das war. Es brachte nichts, dass Menschen starben, wenn sie in deinem Gedächtnis weiterlebten. So wie Rosemary. Sie lebte in ihrer Erinnerung – und auch in der von Stephen? Sie wusste es nicht, aber sie nahm es an.
Das Luxembourg – dieses verhasste Lokal mit dem exzellenten Essen, den gewandten Kellnern, dem luxuriösen Flair. Es war unmöglich, das Luxembourg zu meiden, andauernd wurde man dorthin eingeladen.
Sie hätte gern vergessen – aber alles hatte sich verschworen, die Erinnerung in ihr wach zu halten. Selbst Fairhaven war kein Zufluchtsort mehr, seit George Barton nach Little Priors gezogen war.
Das war
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