Bleakhouse
Energie, und er könne sich leicht vorstellen, wie dieser Gridley sich Vorjahren im Leben nach etwas umgesehen habe, um seiner überströmenden Kampfeslust Luft zu machen, als ihm der Kanzleigerichtshof in den Weg gekommen sei und ihn genau mit dem versorgt habe, was er brauchte. Von jetzt an seien sie unzertrennlich voneinander. Wer weiß, vielleicht wäre er ein großer General geworden, der allerlei Städte in die Luft gesprengt hätte, oder ein großer Politiker, beschlagen in jedem Zweige parlamentarischer Redekunst. Aber so seien er und der Kanzleigerichtshof auf die angenehmste Weise miteinander bekannt geworden, und niemand führe schlechter dabei; und Gridley sei sozusagen von dieser Stunde an versorgt... Man sehe einmal Coavinses an. Welch prächtiges Beispiel liefere der arme Coavinses, der Vater dieser reizenden Kinder, in gleicher Hinsicht! Er, Mr. Skimpole, habe manchmal selbst über das Dasein Coavinses' gemurrt. Coavinses sei ihm im Wege gewesen. Er habe Coavinses wahrhaftig gern missen mögen. Es habe Zeiten gegeben, wo er, wenn er Sultan gewesen wäre und sein Großvezier hätte ihn eines Morgens gefragt: Was verlangt der Beherrscher der Gläubigen von der Hand seines Sklaven ? – sich vielleicht zu der Antwort verstiegen haben würde: »Den Kopf des Coavinses«. Aber wie stelle sich jetzt die Sache dar?
Die ganze Zeit über habe er einem höchst verdienstvollen Mann Beschäftigung gegeben, sei Coavinses' Wohltäter gewesen und habe es ihm tatsächlich ermöglicht, diese reizenden Kinder so trefflich zu erziehen. Daher habe ihm eben jetzt das Herz höher geschlagen, und die Tränen seien ihm in die Augen getreten, als er sich im Zimmer umgesehen und gedacht habe: Ich war eigentlich Coavinses' Gönner, und seine kleinen Lebensfreuden waren mein Werk.
Die leichte Weise, mit der er diese phantastischen Saiten berührte, hatte etwas so Gewinnendes, und er war ein so fröhliches Kind gegenüber den so viel ernsteren wirklichen Kindern, daß auch mein Vormund über ihn lächeln mußte, als er sich nach einem kleinen Privatgespräch mit Mrs. Blinder wieder zu uns wandte.
Wir küßten Charley und nahmen sie mit die Treppe hinunter und blieben vor dem Hause stehen, um sie zu ihrer Arbeit laufen zu sehen. Ich weiß nicht, wohin sie ging, aber wir sahen sie, das kleine Geschöpf mit dem Hut und der Schürze einer Hausfrau, durch den gedeckten Flur hinten im Hofe laufen und in dem Kampfgetümmel und Lärm der Stadt wie einen Tautropfen im Ozean verschwinden.
16. Kapitel
»Toms Einöd«
Lady Dedlock ist ruhelos, sehr ruhelos. Die erstaunten »fashionablen Nachrichten« wissen kaum, wo ihrer habhaft werden. Heute ist sie in Chesney Wold, gestern war sie in ihrem Haus in der Stadt, morgen kann sie im Ausland sein, wenn überhaupt die »fashionablen Nachrichten« sich noch getrauen, irgend etwas vorauszusagen. Selbst Sir Leicester in seiner Galanterie kann nicht an ihrer Seite bleiben. Um so weniger, als sein getreuer Verbündeter in guten und bösen Tagen – die Gicht – in das alte eichengetäfelte Schlafzimmer in Chesney Wold eingezogen ist und ihn bei beiden Beinen gepackt hat.
Sir Leicester findet sich mit der Gicht wie mit einem lästigen Dämon ab. Aber immerhin wie mit einem Dämon adeligen Stammes.
Sämtliche Dedlocks in direkter männlicher Linie haben während eines Zeitraums, weit über Menschengedanken hinaus, die Gicht gehabt. Es läßt sich beweisen. Die Väter anderer Leute sind vielleicht an Rheumatismus gestorben oder haben sich an dem verdorbenen Blute des kranken Pöbels angesteckt, aber das Haus Dedlock hat dem nivellierenden Prozeß des Sterbens den Stempel des Exklusiven aufgedrückt, indem alle seine Mitglieder an ihrer eignen Familiengicht gestorben sind. Sie hat sich in dem illustren Geschlecht vererbt wie das Silber, die Gemälde oder die Besitzung in Lincolnshire. Sie zählt mit zu den Würden.
Sir Leicester ist vielleicht nicht ganz frei von der Ansicht, wenn er sie auch noch nie in Worte gefaßt hat, daß der Todesengel bei Vollzug seiner Pflichten die Schatten der Aristokratie möglicherweise anreden könnte: Mylords und Gentlemen, ich habe die Ehre, Ihnen wieder einen Dedlock vorzustellen, der laut Bescheinigung per Familiengicht soeben angekommen ist.
Daher überläßt Sir Leicester seine Familienbeine der Familienkrankheit, als ob er, Namen und Vermögen gemäß, diese Lehnspflicht mit übernommen habe. Er fühlt allerdings, daß man sich eine gewisse Freiheit
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