Bleakhouse
hinzu.
»Oh, ich glaube schon«, sagte Mrs. Blinder, schwer und asthmatisch atmend. »Sie ist so anstellig wie nur irgendeine. O mein Gott, Sir, Sie hätten sie nur sehen sollen, wie sie nach dem Tod der Mutter die beiden Kinder wartete! Der ganze Hof sprach davon. Und Sie hätten sie nur sehen sollen, wie er krank wurde! Es war das reinste Wunder! 'Mrs. Blinden, sagte er mir noch kurz vor seinem Tod- er lag dort –, 'Mrs. Blinder, was auch mein Beruf gewesen sein mag, ich habe gestern nacht in diesem Zimmer einen Engel neben meinem Kind gesehen, und ich lege sein Schicksal in die Hände unsres Vaters im Himmel.'«
»Hatte er keinen andern Beruf?« fragte mein Vormund nach einer Pause.
»Nein, Sir. Er war bloß Gerichtsvollzieher. Als er hier einzog, wußte ich es noch nicht, und ich gestehe, als ich es erfuhr, kündigte ich ihm. Die Leute im Hofe mochten ihn nicht. Die andern Mieter mieden ihn. Es ist kein anständiges Gewerbe, und die meisten Leute hielten sich darüber auf. Mr. Gridley war sehr gegen ihn, und das ist ein guter Mieter, wenn er auch seine Eigenheiten hat.«
»So kündigten Sie ihm?«
»Ich kündigte ihm. Aber als die Zeit um war und ich nichts Schlimmes an ihm bemerkte, bekam ich so meine Bedenken. Er war pünktlich und fleißig, tat, was er mußte«, sagte Mrs. Blinder und ließ dabei zufällig ihr Auge auf Mr. Skimpole ruhen. »Und es ist immerhin etwas in dieser Welt, wenn man das tut.«
»Und Sie behielten ihn dann doch?«
»Nun ja. Ich sagte ihm, wenn er sich mit Mr. Gridley einigen könnte, so wollte ich es mit den andern Mietern in Ordnung bringen und würde nichts darauf geben, was die im Hof dazu sagten. Mr. Gridley gab seine Einwilligung – etwas barsch -, aber er gab sie. Mr. Gridley war immer barsch gegen ihn, aber er ist seitdem gut gegen die Kinder gewesen. Man lernt jemand nie eher kennen, als bis man ihn auf die Probe gestellt hat.«
»Sind viele Leute gut zu den Kindern gewesen?«
»Na, es geht, Sir. Wenn nur der Beruf ihres Vaters ein andrer gewesen wäre! Der Polizist gab eine Guinee, und die andern Beamten schossen eine kleine Summe zusammen. Einige Nachbarn im Hof, die immer Witze gemacht und auf die Tasche geklopft haben, wenn er vorbeiging, machten eine kleine Subskription... Und so... Na, es war nicht so schlimm. Ähnlich geht's mit Charlotte. Manche wollen sie nicht beschäftigen, weil sie das Kind eines Gerichtsvollziehers ist, und andre, die sie beschäftigen, werfen es ihr vor, und andre rechnen sich's hoch an, wenn sie ihr trotzdem Arbeit geben, und bezahlen sie deshalb schlechter und verlangen mehr von ihr. Aber sie ist geduldiger als andre und ist auch geschickt und immer willig und arbeitet gern, soweit es ihre Kräfte zulassen, und noch mehr. Im ganzen ist's nicht so schlimm, wenn's auch besser sein könnte.«
Mrs. Blinder, von der langen Rede erschöpft, setzte sich nieder, um wieder frischen Atem zu holen.
Mr. Jarndyce wendete sich zu uns, um mit uns zu sprechen, als ihn der unvorbereitete Eintritt des Mannes, den wir bereits auf der Treppe gesehen, unterbrach.
»Ich weiß nicht, was Sie hier zu tun haben, meine Damen und Herrn«, sagte Mr. Gridley in einem Ton, als ob er über unsre Anwesenheit grolle, »aber Sie werden schon entschuldigen, daß ich eintrete. Ich komme nicht, um herumzuglotzen. Nun Charley? Nun Tom? Nun Kleines? Wie geht's euch heute?«
Er beugte sich liebkosend über die Gruppe, und offenbar betrachteten ihn die Kinder als Freund, obgleich sein Gesicht sein finsteres Aussehen beibehielt und sein Benehmen gegen uns so grob wie möglich war. Mein Vormund bemerkte und respektierte es.
»Gewiß wird niemand aus bloßer Neugierde hierherkommen«, sagte er mild.
»Schon möglich, Sir«, gab der Mann zur Antwort, nahm Tom auf sein Knie und winkte Mr. Jarndyce ungeduldig mit der Hand ab. »Ich brauche mich nicht mit Damen und Herrn herumzustreiten. Ich habe für ein Menschenleben genug Streit: gehabt.«
»Sie haben wahrscheinlich Grund genug, heftig und reizbar zu sein«, sagte Mr. Jarndyce.
»Da hat man's wieder!« rief der Mann wütend. »Ich bin streitsüchtig. Ich bin jähzornig. Natürlich! Ich bin nicht höflich.«
»Nicht besonders.«
»Sir!« sagte Gridley, setzte das Kind nieder und trat an meinen Vormund heran, als wollte er ihm einen Schlag versetzen. »Wissen Sie vielleicht etwas vom Kanzleigericht?«
»Vielleicht, zu meinem Kummer.«
»Zu Ihrem Kummer?« Gridley mäßigte seinen Zorn. »Ja, dann! Ich bitte um
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