Bleakhouse
es scheint kaum hierher zu gehören.
Ich glaube – das heißt, er sagte uns –, daß er drei oder vier Jahre praktiziert habe und die Reise nicht machen würde, wenn er sich noch drei oder vier Jahre hätte durchschlagen können. Aber er besäße kein Vermögen und wäre daher gezwungen, ins Ausland zu gehen.
Er hatte uns schon einige Male besucht. Es tat uns leid, daß er jetzt Abschied nahm, denn er war ein hervorragender Arzt in den Augen aller derer, die ihn kannten, und einige der bedeutendsten Gelehrten hatten eine hohe Meinung von ihm.
Als er sich jetzt von uns verabschieden kam, brachte er zum ersten Mal seine Mutter mit. Sie war eine hübsche alte Dame mit glänzenden schwarzen Augen und schien sehr stolz zu sein. Sie stammte aus Wales und hatte vor langer, langer Zeit einen außerordentlich hervorragenden Vorfahren gehabt, mit Namen Morganap-Kerrig, aus einem Ort, der wie Gimlet klang, der unglaublich berühmt gewesen und dessen Verwandte sämtlich eine Art königliche Familie gebildet hätten. Er mußte sein ganzes Leben damit zugebracht haben, in den Gebirgen herumzuziehen und Gefechte zu liefern. Ein Barde, mit Namen Crumlinwallinwer, hatte ihn in einem Lied, das, soweit ich verstehen konnte, Mewlinnwillinwodd hieß, besungen.
Mrs. Woodcourt erzählte uns viel von dem Ruhm ihres großen Ahnen und sagte dann, daß, wohin ihr Sohn Allan auch immer kommen sollte, er sich stets seiner Abstammung erinnern und unter keiner Bedingung eine Verbindung unter seinem Rang schließen werde. Sie wisse, es gäbe viele schöne englische Damen in Indien, die nur aus Heiratsspekulation hinreisten, und daß sich auch einige mit Vermögen unter ihnen finden ließen, aber weder Schönheit noch Reichtum könnten dem Abkömmling eines solchen Geschlechts genügen ohne Geburt, die immer die erste Bedingung sein müßte. Sie sprach so viel von Geburt, daß ich mir für einen Augenblick fast einbildete, und mit Schmerz – aber welch törichte Einbildung, das anzunehmen –, sie könnte am Ende nach meiner Abkunft fragen.
Mr. Woodcourt schien ihre Gesprächigkeit ein wenig unangenehm zu sein, aber er war zu rücksichtsvoll, um es merken zu lassen, und wußte mit viel Taktgefühl das Gespräch so zu drehen, daß er meinem Vormund für seine Gastfreundschaft und für die vielen glücklichen Stunden danken konnte – er nannte sie sehr glückliche Stunden –, die er bei uns verlebt hatte.
Die Erinnerung daran, sagte er, würde ihn überall hinbegleiten, wohin er auch komme, und er werde sie stets im Herzen bewahren. Wir gaben ihm nach der Reihe die Hand – wenigstens sie taten es – und ich auch. Und er küßte Ada die Hand – und mir auch, und so verließ er uns, um seine lange, lange Reise anzutreten.
Ich war den ganzen Tag über sehr beschäftigt und schrieb Unterweisungen für die Dienstboten nach Bleakhaus und Briefe für meinen Vormund, staubte seine Bücher und Papiere ab und hatte mit meinen Wirtschaftsschlüsseln viel im Hause herumzuklimpern. Die Dämmerung kam, und ich war immer noch beschäftigt, sang und arbeitete am Fenster, als niemand anders als Caddy, die ich am wenigsten erwartet hätte, eintrat.
»Ei, liebe Caddy«, sagte ich, »was für schöne Blumen!«
Sie hatte ein allerliebstes Blumensträußchen in der Hand.
»Sie sind wirklich sehr hübsch, Esther. Die schönsten, die ich je gesehen habe.«
»Von Prince, liebe Caddy?« flüsterte ich lächelnd.
Caddy schüttelte den Kopf und hielt mir den Strauß zum Riechen hin.
»Nein. Nicht von Prince.«
»Was? Du hast zwei Anbeter!?«
»So? Sehen die Blumen danach aus?« fragte Caddy.
»Sehen Sie danach aus?« wiederholte ich und kniff sie in die Wange.
Caddy lachte nur dazu und sagte, sie sei bloß auf eine halbe Stunde gekommen, dann werde Prince auf sie an der Ecke warten. Sie plauderte mit mir und Ada am Fenster, reichte mir von Zeit zu Zeit ihre Blumen hin oder probierte, wie sie sich in meinem Haar ausnähmen. Beim Abschied zog sie mich in meine Stube und steckte mir den Strauß an.
»Für mich?« fragte ich überrascht.
»Für dich«, sagte Caddy und küßte mich. »Sie wurden von jemand zurückgelassen.«
»Zurückgelassen?«
»Bei der armen Miß Flite. Jemand, der immer sehr gut zu ihr war, eilte vor einer Stunde weg, um abzureisen, und ließ diese Blumen zurück. Nein, nein, nein! Leg sie nicht weg! Laß die hübschen kleinen Dinger hier ruhen«, sagte Caddy und steckte die Blumen sorgfältig zurecht. »Ich war selbst
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