Bleakhouse
schwere Wahl«, brummt der Gast leise vor sich hin und blickt auf das alte Weib und wieder zu Mr. Smallweed. »Sie!« sagt er dann laut.
»Nun, was denn?«
»Sie ließen mich wahrscheinlich auch gleich federn, wenn ich nur einen Tag im Rückstand bliebe?«
»Bester Freund!« ruft Großvater Smallweed und streckt beide Arme wie ein Wegweiser aus. »Niemals! Niemals! Bester Freund! Aber mein Gewährsmann in der City, den ich bewogen habe, Ihnen das Geld zu leihen, täte es vielleicht.«
»O, Sie können also nicht für ihn stehen?« fragt Mr. George und murrt in sich hinein: »Du verdammter alter lügnerischer Schuft!«
»Bester Freund, es ist kein Verlaß auf ihn. Ich möchte ihm nicht trauen. Er will seinen Wechsel haben, bester Freund.«
»Der Teufel zweifelt daran«, sagt Mr. George.
Da jetzt Charley mit einem Präsentierbrett hereintritt, auf dem die Pfeife, ein kleines Paket Tabak und das Glas Brandy mit Wasser stehen, fragt er sie: »Wo kommst denn du her? Du hast das Familiengesicht nicht.«
»Ich bin Zugeherin, Sir«, gibt Charley zur Antwort.
Der Kavallerist – wenn er überhaupt ein Kavallerist ist oder war – nimmt ihr mit einer für eine so schwere Hand auffallenden Zartheit den Hut ab und streichelt ihr den Kopf. »Du gibst dem Hause beinah ein gesundes Aussehen. Es fehlt ihm ein bißchen Jugend ebensosehr wie frische Luft.«
Dann entläßt er sie, zündet sich die Pfeife an und trinkt auf das Wohl von Mr. Smallweeds Freund in der City – der einzigen jemals vorgekommenen Ausgeburt der Phantasie des geschätzten alten Herrn.
»Sie glauben also, er würde ganz rücksichtslos gegen mich vorgehen, wie?«
»Ich glaube es... Ich fürchte es. Ich weiß, daß er es«, sagt Mr. Smallweed unvorsichtigerweise, »wohl schon zwanzig Mal getan hat.«
Unvorsichtigerweise insofern, als seine gelähmte bessere Hälfte, die mittlerweile über dem Feuer hingedröselt hat, beim Nennen der Zahl augenblicklich aufwacht und schnattert: »Zwanzigtausend Pfund, zwanzig Zwanzigpfundnoten in einem Geldkasten, zwanzig Guineen. Zwanzig Millionen. Zwanzig Prozent. Zwanzig...« Hier wird sie von dem fliegenden Kissen unterbrochen. Der Gast, dem dieses eigentümliche Verfahren ganz neu zu sein scheint, reißt es von ihrem Gesicht weg.
»Du Teufelsidiot, du Skorpion... Du Höllenskorpion! Giftkröte! Du verdammte schnatternde Besenstielhexe! Verbrennen sollte man dich!« japst der Alte, tief in seinen Stuhl versunken. »Bester Freund, möchten Sie mich nicht ein bißchen aufschütteln?!«
Mr. George, der die beiden abwechselnd angestarrt hat, als kenne er sich gar nicht mehr aus, faßt seinen verehrungswürdigen Wirt auf dessen Bitte an der Kehle, zerrt ihn im Stuhl in die Höhe wie eine Puppe und scheint zu schwanken, ob er nicht lieber alle Fähigkeit, je wieder das Kissen zu schleudern, aus ihm heraus und ihn selbst ins Grab schütteln solle. Er widersteht dieser Versuchung zwar, schüttelt ihn aber doch so heftig, daß dem Greis der Kopf wackelt wie einem Harlekin, setzt ihn derb in seinem Stuhl aufrecht und schiebt ihm seine Hauskappe mit solcher Kraft zurecht, daß der Alte eine ganze Minute lang mit den Augen zwinkert.
»O Gott«, ächzt Mr. Smallweed. »Schon gut. Danke, bester Freund, schon gut. O Gott, ich bin ganz außer Atem. O Gott!« – Mr. Smallweed hat sichtlich Furcht vor seinem »besten Freunde«, der, größer als je aussehend, immer noch vor ihm steht.
Die beunruhigende Gestalt sinkt jedoch allmählich wieder in ihren Stuhl und raucht in langen Zügen und ergeht sich in philosophischen Reflexionen wie: »Der Name des Freundes in der City fängt mit einem T an, und du hast ganz recht hinsichtlich des Wechsels.«
»Sagten Sie etwas, Mr. George?«
Der Kavallerist schüttelt den Kopf, fährt, den rechten Ellbogen auf das rechte Knie gestützt, fort zu rauchen und läßt die andere Hand auf dem linken Schenkel ruhen, den Ellbogen in soldatischer Weise auswärts gekehrt. Dabei betrachtet er Mr. Smallweed mit aufmerksamem Ernst und fächelt dann und wann die Rauchwolken weg, um das Gesicht seines Gegenübers deutlicher sehen zu können.
»Ich vermute«, sagt er und verändert seine Stellung gerade nur soviel, um das Glas an seine Lippen bringen zu können, »daß ich der einzige unter allen Lebenden oder Toten bin, der je eine Pfeife Tabak aus Ihnen herausgequetscht hat.«
»Ich sehe doch keine Gesellschaft um mich, Mr. George, die ich traktieren könnte. Ich kann es mir nicht leisten, aber da
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