Bleakhouse
mein ganzes Augenmerk auf die Beendigung des Prozesses und arbeite stets auf dieses Ziel hin. Da ich inzwischen mündig geworden bin und diesen Schritt nun einmal getan habe, so halte ich mich jeder Verantwortlichkeit gegenüber John Jarndyce zwar für ledig, aber da Ada immer noch Kanzleigerichtsmündel ist, verlange ich die Erneuerung unsres Verlöbnisses vorläufig noch nicht von ihr. Wenn sie frei und selbständig handeln kann, werde ich wieder mir selbst gehören, und ich glaube, wir werden dann in ganz andern materiellen Verhältnissen sein.
Wenn Sie ihr das alles in Ihrer rücksichtsvollen Weise sagen wollten, würden Sie mir einen großen Freundschaftsdienst erweisen, liebe Esther, und ich werde mich mit 'Jarndyce kontra Jarndyce' mit noch größerer Energie herumschlagen. Natürlich verlange ich nicht, daß in Bleakhaus etwas geheimgehalten wird.«
»Richard«, sagte ich, »Sie schenken mir großes Vertrauen, und doch, fürchte ich, werden Sie keinen Rat von mir annehmen?«
»In dieser Angelegenheit unmöglich, meine liebe Esther. In jeder andern mit der größten Bereitwilligkeit.«
– Als ob in seinem Leben noch eine andre existierte! Als ob seine ganze Laufbahn und sein Charakter nicht eine einzige Farbe angenommen hätten! –
»Aber eine Frage darf ich Ihnen doch vorlegen, Richard?«
»Ich dächte ja«, sagte er lachend. »Ich wüßte nicht, wer es sonst tun könnte, wenn nicht Sie.«
»Sie sagten vorhin, daß Sie kein geordnetes Leben führten.«
»Wie kann ich denn das, liebe Esther, wenn nichts im Geleise ist?«
»Haben Sie wieder Schulden gemacht?«
»Natürlich«, sagte Richard, ganz erstaunt über meine Einfalt.
»Ist das so natürlich?«
»Gewiß, liebes Kind. Ich kann mich einer Sache ohne Geldkosten doch nicht vollständig widmen. Sie vergessen oder vielmehr wissen nicht, daß, mag jetzt dieses oder jenes Testament bestätigt werden, Ada und ich jedenfalls etwas bekommen müssen. Es kann sich nur um die größere oder die kleinere Summe handeln. Ganz durchzufallen ist ausgeschlossen. Beruhigen Sie sich, meine prächtige Esther«, sagte Richard, dem ich wirklich Spaß zu machen schien, »ich werde schon gut durchkommen! Ich werde mir schon einen Weg bahnen, meine Liebe.«
Ich sah die Gefahr, in der er schwebte, so deutlich, daß ich ihn in Adas und meines Vormunds und meinem eignen Namen aufs dringendste beschwor, ihn warnte und ihm einige seiner Irrtümer klar zu machen versuchte. Alles, was ich ihm sagte, hörte er mit Geduld und Sanftmut an, aber es prallte von ihm ab, ohne den mindesten Eindruck hervorzubringen. Nach der Art, wie er meines Vormundes Brief aufgenommen hatte, konnte ich mich darüber eigentlich nicht wundern, aber jedenfalls beschloß ich, auch noch Adas Einfluß auf ihn wirken zu lassen.
Als wir daher auf unserm Spaziergang das Dorf erreichten und ich zum Frühstück nach Hause kam, bereitete ich Ada auf alles, was ich ihr mitzuteilen hatte, vor, und stellte ihr vor Augen, wie sehr wir zu befürchten hätten, daß Richard sich selbst verlieren und sein ganzes Leben zwecklos vergeuden könnte. Natürlich machte sie das sehr bekümmert, aber sie hoffte, viel zuversichtlicher als ich, daß er seine Irrtümer rechtzeitig einsehen werde.
– Es war so natürlich und liebevoll von meinem Herzensschatz. –
Dann setzte sie sich hin und schrieb ihm folgenden Brief:
Liebster Vetter!
Esther hat mir alles mitgeteilt, was Du ihr diesen Morgen gesagt hast. Ich schreibe Dir jetzt, um auf das dringlichste alles, was sie Dir vorgehalten hat, selbst zu wiederholen und Dich wissen zu lassen, wie fest ich überzeugt bin, daß Du früher oder später in unserm Vetter John ein Muster von Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Herzensgüte erkennen wirst. Es wird Dir noch einmal bitter leid tun, ihm, wenn auch unabsichtlich, so unrecht getan zu haben.
Ich weiß nicht recht, wie ich das, was ich Dir jetzt sagen möchte, schreiben soll, aber ich hoffe, Du wirst es so auffassen, wie ich es meine. Ich fürchte fast, liebster Vetter, daß Du Dir zum Teil meinetwegen für die Zukunft so viel Sorge machst – und damit natürlich auch mir. Im Falle das so sein sollte, bitte ich Dich auf das ernstlichste und flehentlichste, davon abzulassen. Du könntest nichts für mich tun, was mich halb so glücklich machen würde, als daß Du dem unheilvollen Schatten, in dem wir beide geboren sind, auf ewig den Rücken kehrtest. Sei mir nicht böse, daß ich Dir das sage. Bitte, bitte, lieber
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