Bleakhouse
'ich sehe klar – und weiß es außerdem auch –, daß Ihr Sohn mein Mündel liebt. Ich weiß auch, daß mein Mündel Ihren Sohn liebt, aber ihre Liebe einem Gefühl der Pflicht und der Hingebung opfern will, und zwar so vollständig und so unselbstsüchtig, daß Sie es nie ahnen werden, wenn Sie sie auch Tag und Nacht beobachten.' Dann erzählte ich ihr unsre ganze Geschichte –unsre, deine und meine. 'Nun mache ich Ihnen den Vorschlag, Madam', sagte ich, 'besuchen Sie uns, nachdem Sie dies erfahren haben, und wohnen Sie bei uns. Kommen Sie zu uns und sehen Sie mein Kind zu jeder Stunde; halten Sie das, was Sie sehen, gegen ihren Stammbaum, der so und so ist', – ich verschmähte, ihr etwas zu verhehlen – 'und sagen Sie mir, was echtes, reines Blut ist, wenn Sie sich die Sache recht ordentlich überlegt haben.'« Aber Ehre sei ihrem alten welschen Blute, meine Liebe!« rief mein Vormund voll Begeisterung. »Ich glaube, ihr Herz schlägt nicht weniger warm, nicht weniger bewundernd, nicht weniger liebevoll für Mütterchen Durden als mein eignes!«
Er hob zärtlich meinen Kopf in die Höhe und küßte mich auf seine alte väterliche Weise wieder und wieder. Welch ein Licht ging mir jetzt auf, wenn ich an die Beschützermiene dachte, die mir so oft an ihm aufgefallen war!
»Und noch ein letztes Wort. Als Allan Woodcourt mit dir sprach, meine Liebe, geschah es mit meinem Wissen und meiner Zustimmung – aber ich ermutigte ihn in keiner Weise, durchaus nicht, denn diese kleinen Überraschungen waren meine große Belohnung, und ich war zu geizig, um nur ein Jota davon zu missen. Er sollte mir alles erzählen, was vorgegangen war, und er tat es. Ich habe weiter nichts mehr zu sagen, mein Herzlieb. Allan Woodcourt stand neben der Leiche deines Vaters – stand neben der deiner Mutter. Dies ist Bleakhaus. Heute gebe ich diesem Hause seine kleine Herrin, und ich schwöre es zu Gott, es ist der schönste Tag meines ganzen Lebens!«
Er stand auf und zog mich an seine Brust.
Wir waren nicht länger allein.
Mein Gatte – volle sieben glückliche Jahre sind es jetzt, daß ich ihn so genannt – stand neben mir.
»Allan«, sagte mein Vormund, »nehmen Sie von mir als freiwillige Gabe das beste Weib, das jemals ein Mann gehabt hat. Kann ich Ihnen mehr sagen, als daß ich weiß, daß Sie es verdienen?! Nehmen Sie mit ihr das Häuschen, das sie Ihnen zubringt. Sie wissen, wie glücklich sie es machen wird, Allan; Sie wissen, was sie für das andre Bleakhaus gewesen ist. Erlauben Sie, mich manchmal in sein Glück zu teilen, und was opfere ich dann? Nichts, nichts.« Er küßte mich noch einmal, und Tränen standen ihm im Auge, als er mit gedämpfterer Stimme sagte: »Liebe Esther, nach so vielen Jahren bedeutet dies doch eine Art Trennung. Ich weiß, daß mein Irrtum dir Schmerzen verursacht hat. Verzeihe deinem alten Vormund und räume ihm wieder seinen alten Platz in deinem Herzen ein; und lösche den Irrtum aus deinem Gedächtnis. Allan, hier, nehmen Sie mein liebes Kind hin!«
Er trat unter dem grünen Blätterdach hervor in den Sonnenschein draußen, wendete sich heiter nach uns um und sagte:
»Ich werde hier irgendwo in der Nähe zu finden sein. Es ist Westwind, kleines Frauchen, reiner Westwind! Es darf mir niemand mehr danken; denn ich kehre wieder zu meinen Junggesellengewohnheiten zurück, und wenn jemand auf diese Warnung nicht achtet, laufe ich fort und komme nie wieder!«
Oh, dieser Tag mit seinem Glück, seiner Freude, seinem Frieden, seiner Hoffnung, seiner dankerfüllten Seligkeit!
Wir sollten noch vor Ende dieses Monats getraut werden, aber der Zeitpunkt, wo wir unser Heim beziehen sollten, hing von Richard und Ada ab.
Am nächsten Tage reisten wir alle drei zusammen nach Hause. Sowie wir in der Stadt angekommen waren, begab sich Allan zu Richard, um ihm und meinem Herzenskinde die freudige Botschaft zu überbringen. So spät es war, gedachte ich sie doch vor dem Schlafengehen noch auf ein paar Minuten zu besuchen, ging aber zuerst mit meinem Vormund heim, um ihm seinen Tee zu bereiten und meinen alten Platz an seiner Seite einzunehmen, denn ich wollte nicht daran denken, daß er so bald leer werden sollte.
Als wir zu Hause ankamen, hörten wir, daß ein junger Mann im Laufe des Tages drei Mal nach mir gefragt hatte, und als er bei seinem dritten Besuch erfahren, daß ich nicht vor zehn Uhr abends zurückkehren würde, zurückgelassen habe, er werde um diese Zeit wiederkommen. Er hatte
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