Bleib ungezaehmt mein Herz
sprach, bevor er sich vor ihrer Begleiterin verbeugte. »Miss Moreton.« Harriet errötete und erwiderte die Verbeugung.
»Marcus, du bist genau die Person, die ich brauche«, sagte Judith. »Mir ist gerade eine wichtige Besorgung eingefallen, die ich unbedingt erledigen muß. Es wäre für Harriet nur schrecklich langweilig, deshalb darfst du sie für mich nach Hause begleiten.«
Lachen blitzte in seinen ebenholzschwarzen Augen auf. Auch Marcus war schnell von Begriff. »Es wird mir ein Vergnügen sein.« Er warf seinem Diener die Zügel zu und sprang vom Kutschbock. »Miss Moreton, gestatten Sie mir, Ihnen behilflich zu sein.«
Harriets Wangen färbten sich noch dunkler, als Seine
Lordschaft sie um die Taille faßte und sie mühelos von dem hohen Sitz herunterhob, bevor er ihr in seine wesentlich bequemere Kutsche hineinhalf.
Dann trat Marcus näher an Judiths Zweispänner heran und legte eine Hand auf die Vorderachse. »Du hinterhältiges kleines Biest«, sagte er. »Glaube nicht, ich wüßte nicht, was du bezweckst. Du bist raffinierter als eine Wagenladung voller Affen.«
Judith lächelte gelassen. »Da Sebastian als Bewerber selbst so wenig zu bieten hat, sollte er sich lieber seine anderen Familienbeziehungen zunutze machen.« Augenblicklich bereute sie ihre leicht dahingeworfene, scherzhafte Bemerkung. Sie war zu nahe an der Wahrheit, zu nahe an der Bitterkeit, die auf so süße Weise zerstreut worden war.
Aber zu ihrer Erleichterung reagierte Marcus, als erinnerte er sich nicht mehr an ihre heftige Auseinandersetzung. »Du bist ein schamloses Frauenzimmer, aber ich habe nichts dagegen, Sebastian ein wenig zu unterstützen. Mit dir habe ich allerdings noch ein Hühnchen zu rupfen.« »So?«
»Wo ist dein Pferdeknecht?«
Judith schnitt eine Grimasse. »Pferdeknechte sind so lästig in einer offenen Kutsche. Sie machen eine vertrauliche Unterhaltung unmöglich.«
»Trotzdem, sie sind unverzichtbar.«
Judith seufzte. »Aus dir spricht wieder mal der Despot.«
»Und du wirst ihm gehorchen.«
Es war ein kleineres Zugeständnis und eine zumutbare Unbequemlichkeit. Im Augenblick lief alles so glatt zwischen ihnen, daß Judith nicht bereit war, wegen einer solchen Nebensächlichkeit einen Streit anzufangen. »Na schön, wenn du darauf bestehst, werde ich nicht wieder ohne Begleitung ausfahren.«
Marcus nickte. »Du solltest für den Augenblick lieber Henry mitnehmen.«
»O nein!« rief sie. »Das würde alles verderben! Wenn du deinen Pferdeknecht nicht dabei hast, kannst du dein
Gespann nicht allein lassen, um Lady Moreton zu begrüßen, wenn du Harriet zurückbringst. Der Auftritt des Marquis von Carrington soll doch Eindruck machen, aber damit wäre die ganze Wirkung deiner Begleitung zunichte.«
Marcus mußte lachen, er konnte nicht anders. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich mich in deine Verschwörungen verwickeln lassen sollte, aber wenn du Henry nicht mitnimmst, mußt du sofort nach Hause zurückfahren.«
Judith beugte zustimmend den Kopf, winkte Harriet fröhlich zu und trieb ihre Pferde an. »Sofort« ist ein dehnbarer Begriff, dachte sie, und sie hatte Marcus ja auch kein wörtliches Versprechen gegeben. Er würde noch mindestens eine Dreiviertelstunde außerhalb des Parks beschäftigt sein, und die Gelegenheit, das Interesse in Bernard Melvilles Augen ein wenig zu verstärken, war gerade günstig und durfte nicht verpaßt werden.
Judith entdeckte ihre Beute vor dem Tor des Apsley House. Er war in ein Gespräch mit einer Gruppe von Freunden vertieft, doch von Lady Barret war nichts zu sehen. Das ersparte Judith die Mühe, sich eine Möglichkeit einfallen zu lassen, wie sie Gracemere zum Mitfahren ermuntern konnte, ohne die Lady in ihr Angebot mit einzuschließen.
»So trifft man sich wieder, Mylord.« Sie grüßte ihn heiter. »Harriet ist wohlbehalten zu Hause angekommen. Darf ich Sie vielleicht auf eine kleine Rundfahrt mitnehmen?«
»Ich fühle mich geehrt, Lady Carrington. Ich werde der am meisten beneidete Mann im Park sein.«
»Na, na, nicht so schwülstig«, erwiderte sie lachend.
»Nicht im geringsten«, protestierte er und schwang sich neben sie auf den Kutschbock. »Sie erregen allgemein Aufsehen mit Ihren Fähigkeiten, Madam. Hat Carrington Ihnen das Kutschieren beigebracht?«
»Nein«, sagte Judith und setzte die Pferde in Bewegung, während sie sich darauf vorbereitete, die Saat zu wässern, die bereits zu sprießen begann. »Um ehrlich zu sein - mein Mann ist nicht
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