Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
und freue ich mich, wenn ich noch mehr solche Briefe bekomme. Es tut mir nur leid, dass Du Dir die Zeit zum Schreiben stehlen musst und dadurch noch weniger Freizeit zum Ausspannen hast. Leider ist die jetzige Witterung wenig für das Gedeihen der Erdbeeren geeignet, auch hier löst ein Gewitter mit Regen das andere ab und bin ich gestern auf dem Rad ganz schön nass geworden. Aber vielleicht hat es sich bei Euch doch was geändert und kommt der Meester für seine viele Arbeit doch noch auf seine Kosten. Von der ‘Zauberinsel’ waren die Eltern ja nicht so erfreut, ja, so eine neue Oper kommt doch meistens nicht an die alten heran. Du hast recht, bei Mutter kamen ja alle anderen eher dran als sie selbst, na, da kann sie ja jetzt Staat machen. Was macht denn Dein Kreuze, haben sich die Schmerzen wieder verzogen und hast Du da recht unter Sonnenbrand zu leiden? Einen Doppelkopf würde ich ganz gerne wieder mal spielen, hier kann man nicht mal einen vernünftigen Skat spielen. Ich habe nun zwei Flaschen Wein, einen Rot- und einen Weisswein, die ich zum Urlaub mitbringe, bin doch wirklich hier enthaltsam. Hoffentlich haben sich Deine Befürchtungen nicht bewahrheitet und Ihr seid von weiteren Alarmen verschont geblieben. Am Dienstag früh um 2 Uhr ist hier einen Kilometer von uns nach einem Luftkampf ein 4-motoriger Bomber abgeschossen worden. Hab mir den kläglichen Rest vormittags angesehen, es war kein schöner Anblick. Sieben Mann der Besatzung lagen zum Teil verkohlt herum. Es waren Amerikaner und Kanadier, aber ich habe kein Mitleid, denn heute sprach ich einen Geschäftsmann aus Düsseldorf, dort haben sie furchtbar gehaust und muss es dort furchtbar sein. Fast alles ausgebrannt und wird nichts mehr aufgebaut. Ich bin bloss froh, dass es bei Euch immer noch so gut abgeht und soll es ja nur so bleiben. Es wird mehr als Zeit, dass das Morden ein baldiges Ende findet. In Kiel sind sie ja auch wieder gewesen, habt Ihr was von Eurer Tante gehört?
Bei mir sind bis auf den Kinobesuch die Feiertage auch wie jeder andere Tag vorbei gegangen, ich war richtig froh, als sie vorbei waren, denn man dachte zurück an die Pfingsten vor dem Kriege und da bekommt man ja jetzt langsam das Kotzen. Es ist bedauerlich, dass Ihr mit den Erdbeeren solches Pech habt, wenn auch der Zucker fehlt, so können sie ja auch so genossen werden. Ich habe allerdings auch noch keine gegessen, aber sollen wir in Zukunft etwas besser mit Obst versorgt werden. Da war es ja voriges Jahr in Lemmen besser, aber seitdem in Holland so viele neue Luftwaffen-Helferinnen eingesetzt werden, wird alles knapper und wesentlich teurer. Wir sollen als Soldaten Obstkarten bekommen und damit Anspruch auf ein bestimmtes Quantum Obst. Der zweite Feiertag war hier ja auch ganz schön verregnet, aber dafür war am ersten richtiges Feiertagswetter. Ich bin riesig froh, dass Heidi wieder richtig auf dem Damm ist und hast Du da ja dauernd Beschäftigung mit ihr. Wenn nur erst der Urlaub da wäre, man kann die Zeit kaum erwarten und bei dieser Sch...Kompanie hier haut das nicht so richtig hin. Da hat es ja mit meiner Pfingstpost geklappt und alle haben auch ihre Butter bekommen, aber Du hast mir noch gar nicht geschrieben, in welcher Verfassung sie bei Euch angekommen ist. Nun muss ich aber erst mal eine Abendbrotpause einschieben, mein Magen knurrt zu unverschämt und das könnte eventuell in den Brief mit reinkommen und Du denkst, ich hätte mich unanständig betragen.
Ja, nun ist ausser dem Abendbrot eine zweite Wehrbetreuung dazu gekommen. Nachmittags war Lichtbildervortrag und ab 8 Uhr war Film. Am Nachmittag bin ich nicht gewesen, aber ‘Das unsterbliche Herz’ habe ich mir nochmals angesehen und muss sagen, der Film hat mich wieder ergriffen, aber nun will ich den Brief fertig schreiben. Jetzt ist schöne Musik im Radio, da fleckt es gut mit dem Schreiben.
Kleine Maus, Deine Selbstvorwürfe kann ich verstehen, aber ich kann es Dir nachfühlen, wenn Du Dich mal nicht beherrschen kannst. Es ist für Euch Frauen doch nicht leicht, diese Zeiten durchzustehen und an andere noch Optimismus abzugeben. Mit zunehmenden Alter hat das nichts zu tun, sondern das ist zeitbedingt, aber Du, mein kleiner Kamerad, darfst den Mut nicht verlieren. Auch ich habe oft Stimmungen, wo einem alles sinnlos vorkommt, und da könnte man alles hinschmeissen, aber erreichen tut man damit auch nichts, man kann nur immer hoffen, dass alles einmal ein Ende finden muss.
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