Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
11.4. 1946
Mein lieber alter Strolch!
Recht vielen Dank für Deinen lieben Brief No. 7, den ich vorgestern zum 9. erhielt. Gleich zu Beginn: bitte entschuldige, daß ich mit Bleistift schreibe, aber mein Füller liegt drüben im Schlafzimmer und da will ich Heidi nicht bei ihrem Mittagsschlaf stören, denn sie hat es nötig. Ich hoffe doch nun, daß Du meine Post alle erhalten hast, daß ich laufend geschrieben habe, siehst Du ja, und den großen Teil eingeschrieben. Hast Du auch das Päckchen bekommen, mit Pinsel und Briefpapier? – Nun habe ich heute Nachmittag doch nicht weiter schreiben können, das Kerlchen wurde munter. Ich habe sie angezogen, sie ist dann kreiseln gegangen, und ich bin mal fix mit dem Rad in die Märchenwiese gefahren. Um 5 Uhr sind dann Mutter, Heidi und ich mal zu Onkel Max. Ich denke, daß Du das Telegramm von Onkel Max erhalten hast. Kleiner Mann, da ist nun wieder einer unserer Verwandten von uns gegangen. Es geht das alles so rasend schnell. Tante Anna hat keine acht Tage gelegen. Lungenentzündung, und da ist ein Bazillus nach dem Gehirn gegangen. Tante Anna hat bald 24 Stunden ohne vollständig Bewußtsein gelegen. Ihr wollen wir die Ruhe gönnen, denn wäre sie gesund geworden, so wäre sie geisteskrank geblieben. Schlimm ist es für Onkel Max, und kann ich Dir gar nicht sagen, wie unsagbar leid mir Onkel Max tut. Er ist so ganz allein. Im Alter merkt man doch doch dann erst recht, was Kinder für ein Segen sind. Wie sich nun seine Zukunft gestalten soll, ist mir vorläufig noch nicht ganz klar. Am Sonnabend bringen wir sie zur letzten Ruhe. Lauter traurige Nachrichten, die Du bekommst, kleiner Mann.
Ich hatte die Woche sehr viel Arbeit im Garten. Auch schon die vergangene Woche. Jeden Tag war ich draußen um so halbwegs alles in Ordnung zu bekommen. Gestern hat mir mal ein Arbeiter von Lisa einen halben Tag geholfen. Die Hauptsache habe ich nun gemacht, nur noch die Erdbeeren auf der rechten Seite fertig machen. Das ganze Holz habe ich auch weg. Es war alles eine mühselige Arbeit. Jetzt, wo man die viele Arbeit hat, da kam kein Besucher, die stellen sich nachher immer dann erst ein, wenn es ans Ernten geht.
Und nun will ich erst mal sehen, was aus Deinem Brief zu beantworten ist. Du bist im Irrtum, wenn Du annimmst, daß ich glaubte, daß Du bei Papas Tod nach Hause kommst. Ich hatte Dir das Telegramm nur geschickt, damit Du in Gedanken dabei sein konntest zur Feier. Du sollst Dich durch nichts beeinflussen lassen in Deinem Wollen, wir kommen schon hin, und dann liegt ja auch die Stunde unseres Wiedersehens nicht mehr fern. Schön wäre es schon gewesen, wenn Du schon Ostern gekommen wärst, aber der Mai liegt ja auch nicht mehr so fern, und da wollen wir nun nicht mehr so viel für und wieder haben, ja kleiner Mann?
Bei uns war vergangene Woche auch eine sommerliche Wärme, so daß die Kinder schon in Wadenstrümpfen laufen konnten. Es war richtiggehendes Sommerwetter. Jetzt blühen schon die Osterglocken und gelben Narzissen, und auch Tulpen stehen schon, aber nicht bei uns im Garten. Bei uns in der Straße fangen die Linden an auszuschlagen, und bei Schramms fängt das Mandelbäumchen an zu blühen. Ich habe heute ein paar Zweige abgemacht, und die will ich Tante Anna in den Sarg legen. Jetzt ist es nun wieder ganz elend kühl geworden, und kann man den Wintermantel wieder vertragen.
Unsere Lebensmittelkarte haben wir für März voll beliefert bekommen. Hoffentlich wird das auch in Zukunft so. Mit Heidi war ich am vergangenen Freitag bei Frau Dr. Weise. Hatte ich Dir das schon geschrieben? Gerade als sie Frau Dr. auf dem Schoß hatte, bekam sie wieder ihren Hustenanfall, und hat da Frau Dr. gleich feststellen können, daß es ein regelrechter Keuchhusten ist. Aber meines Erachtens nach ist der Höhepunkt bereits überschritten, und wird es nun langsam besser mit ihr, obwohl so ein Keuchhusten eine langwierige Sache ist. Ich soll möglichst sehr viel mit ihr nach Liebertwolkwitz fahren, da dort die beste Luft ist. Unsere Straßenbahn hat sich vielleicht wieder was geleistet. Da kostet jetzt ein Fahrschein während der Sperrzeit für nicht Berufstätige 1 RM und umsteigen 2 RM, ist doch eine grenzenlose Härte, ich z.B. muß da im Garten immer warten, bis es ½ 7 Uhr ist. Mit dem Rad kann ich nicht mehr fahren, da bin ich abends vollständig erledigt, wenigstens wenn ich im Garten arbeiten muß, und dann noch Heidi hinten auf dem Rad. Einmal habe ich es gemacht, und da war
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