Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
hektischen Bewegungen schraubte er den Deckel vom Druckbehälter ab und sah hinein.
»Nein, nein, nein!«, schrie er, und die leeren Wände schleuderten die Worte zu ihm zurück.
Er trat gegen den Behälter, und der flog durch das Becken.
»Verdammte Scheiße«, brüllte er rasend vor Wut.
Dann bückte er sich und zog eine Trinkflasche, wie sie Sportler benutzten, aus der Tasche. Sie war durchsichtig und zur Hälfte gefüllt.
Neben Miriam, die noch immer strampelte und sich in ihrer Qual wand, ging er auf die Knie, schob eine Hand in ihren Nacken und hob ihren Kopf an.
»Trink«, sagte er und rammte ihr die Öffnung der Flasche in den Mund.
Miriam versuchte sich zu wehren, spie die Flüssigkeit wieder aus, doch er drückte auf die Kunststoffflasche und presste ihr immer mehr davon in den Mund.
»Trink, trink, trink … Ihr blöden Fotzen, ihr seid doch selbst schuld.«
Und Miriam musste trinken.
Sonntagabend, halb acht, und sie stand allein im Teambesprechungsraum und packte ihre Unterlagen zusammen. So einsam und deprimiert hatte Nele sich lange nicht mehr gefühlt.
Sie hatte ihr Team noch einmal für zwanzig Minuten zusammengerufen, um die bisherigen Ermittlungsergebnisse zu besprechen und den morgigen Tag zu planen. Und eben diese Ergebnisse eines ganzen Tages hektischer, fieberhafter Arbeit waren es, die sie deprimierten – es gab ganz einfach keine. Zumindest keine, die nach einer heißen Spur aussahen.
Was sie am dringendsten benötigten – die Identität der Leiche aus dem Maststall –, ließ weiterhin auf sich warten. Nele wusste, dass Klaus Quandt alles tat, was in seiner Macht stand, aber manche Vorgänge ließen sich einfach nicht beschleunigen. Vier Beamte hatten den Tag damit verbracht, aus allen Vermisstenfällen der letzten drei Monate, auch aus denen der Nachbarbezirke, genetisches Vergleichsmaterial zu sammeln. Das bedeutete, die Familien aufzusuchen, die Eltern aufzuschrecken und um Haare aus einer Bürste oder Ähnliches zu bitten. Nele konnte sich vorstellen, wie manch eine Mutter und manch ein Vater sich nach diesem Besuch fühlten.
Leider konnte sie sich auch vorstellen, dass Miriam Singer vielleicht gerade jetzt, in diesem Moment, da sie selbst nach Hause gehen und schlafen wollte, Höllenqualen litt, und weder sie noch ihre Mitarbeiter konnten dagegen etwas unternehmen.
Dag Hendrik schaute durch die offene Tür. »Alles klar?«, fragte er
»Du hast auch kein Zuhause, was?«, wich Nele aus.
Er zuckte mit den Schultern. »Gibt es etwas, das ich wissen muss?«
»Ich brauche mehr Personal. Für eine Soko müssen wir mindestens auf das Doppelte aufstocken.«
Sie erklärte ihm, dass am morgigen Montag die Firmen aufgesucht werden mussten, die in der Umgebung von Bruchhausen die Windräder aufgestellt hatten und sie warteten, was möglicherweise zwei Paar Schuhe waren. Außerdem standen die Lieferanten von Wasserstoffperoxid noch aus, auch da hatten sie am heutigen Sonntag nichts ausrichten können. Die Befragungen in Miriam Singers Umfeld mussten weitergeführt werden, außerdem plante Nele, mindestens drei Posten sich an den Zufahrtsstraßen zu den Mastställen verstecken zu lassen. Dr. Sternberg hatte die Vermutung geäußert, der Täter könne zurückkehren, um sich davon zu überzeugen, dass sein Versteck wirklich aufgeflogen war und sein Opfer nicht mehr ihm gehörte. Diese Maßnahme hätte noch heute Abend eingeleitet werden müssen, aber es war schlicht niemand da, der es hätte tun können. Insgeheim überlegte Nele, ob sie sich zusammen mit Anou die Nacht um die Ohren schlagen sollte. Sie konnten abwechselnd im Wagen schlafen. Trotzdem würde sie morgen nicht topfit sein, und das war auch scheiße.
»Doppelt so viele heißt mindestens acht zusätzliche Beamte«, sagte Dag.
»Mindestens.«
»Bekommst du. Bis morgen Mittag stehen sie bereit.«
Zusammen verließen sie den Besprechungsraum und gingen auf die Fahrstühle zu.
Neles Handy klingelte.
Es war Klaus Quandt, der Gerichtsmediziner. »Vielleicht hat diese Frau Singer noch eine Chance, wenn Sie sie rechtzeitig finden«, begann er das Gespräch.
»Ich verstehe nicht.«
»Die Hautpartien des Opfers sind unterschiedlich stark verätzt, und nach dem, was ich bis jetzt weiß, hat das folgenden Grund: Der Täter verwendet verschiedene Konzentrationen von Wasserstoffperoxid. Er hat sein Opfer nicht sofort mit der hohen Konzentration übergossen, sondern mit einer niedrigen begonnen. Es gibt Hautpartien, die noch
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