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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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sah auf sie hinab.
    »Warum wollen Psychopathen bemitleidet werden?«, fragte Nele Karminter.
    Konzentriert steuerte sie ihren Wagen durch die Einsamkeit der südlichen Heidelandschaft. Noch war der angekündigte Orkan nicht da, doch der Wind war auch so schon kräftig genug, um den einsetzenden, leichten Schneefall fast waagerecht über die Straße zu treiben. Sollten die Prognosen wirklich eintreffen, würden sich binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden im offenen Gelände meterhohe Schneeverwehungen bilden. Nele hoffte, es noch rechtzeitig zurück zu schaffen, bevor Schneefall und Sturm ihre ganze Kraft entfalteten. In dieser verlassenen Gegend wollte sie auf keinen Fall liegenbleiben.
    »Haben Sie eine Vermutung?«, gab Dr. Sternberg vom Beifahrersitz aus die Frage zurück.
    Nele zuckte mit den Schultern. »Der Mensch begehrt ja immer gerade das, was andere haben und er nicht. Vielleicht betteln sie um Mitleid, weil sie selbst keines empfinden können?«
    »Ihr Gedanke impliziert, dass der Soziopath sein fehlendes Gewissen und seine Unfähigkeit, andere zu bemitleiden, erkennt und es als Mangel versteht.«
    »Ist das nicht so?«
    »Wahrscheinlich nicht, nein, auch wenn das wünschenswert wäre. Es wäre ja nur gerecht, wenn Soziopathen, wo sie uns das Leben doch so schwer machen, wenigstens unter ihrem Mangel litten. Aber mit ihrem Betteln um Mitleid verfolgen sie leider ganz konkrete Ziele. Sie wissen nämlich genau, wie wir Menschen, die wir ein Gewissen haben, ticken.«
    Nele warf einen kurzen Blick zur Seite. »Jetzt bin ich aber gespannt.«
    »Es ist gar nicht so kompliziert. Menschen, die Mitleid empfinden, vergeben und vergessen leicht. Er kann ja nichts dafür, der arme Kerl, er hatte es ja immer so schwer, wir müssen nachsichtig sein mit ihm … undsoweiter, undsoweiter. Und genau das ist es, was der Soziopath erreichen will. Er will mit seinem Spiel weitermachen, bis er gewonnen hat, und dafür ist das Mitleid anderer Menschen oft sehr wichtig.«
    »Also alles mit Berechnung«, sagte Nele. »Ein ziemlich krankes Leben, oder? Bin ich froh, dass ich ein Gewissen habe.«
    »Finden Sie? Hoch gesteckte Ziele erreicht man doch viel schneller, wenn man reuelos auf die Körper Gestrauchelter steigen kann.«
    Nele schüttelte den Kopf. »Solche Ziele will ich gar nicht erreichen.« Vor ihnen tauchte ein riesiger Holztransporter auf, der lange Fichtenstämme transportierte. Der Auflieger schwankte im Wind hin und her, außerdem flogen Rindenstücke und aufgewirbelter Schneematsch gegen die Windschutzscheibe des Passat. Normalerweise hätte Nele bei den Witterungsverhältnissen nicht überholt, aber hinter so einem Monstrum wollte sie auch nicht herfahren.
    Sie klammerte sich ans Lenkrad und konzentrierte sich. Die riesigen, dreckigen Reifen des LKW schoben sich in Augenhöhe an ihnen vorbei. Der Motor des schweren Schleppers dröhnte laut und unterband jede Unterhaltung.
    Erleichtert sackte Nele in sich zusammen, als sie den Transporter hinter sich gelassen hatten.
    Auch Dr. Sternbergs rechte Hand löste sich aus der verkrampften Haltung um den Türgriff.
    »Hat Ihre Partnerin ein Problem mit mir?«, wechselte sie überraschend das Thema.
    »Sie weiß, dass ich mit Ihnen gesprochen habe.«
    »Das habe ich mir gedacht. Möchten Sie, dass ich das Gespräch mit ihr suche?«
    Nele dachte kurz nach. »Ich bin mir nicht sicher … Eigentlich sollten wir uns ausschließlich auf den Fall konzentrieren.«
    »Was Sie beide aber nicht können, solange das Thema nicht aufgearbeitet wird.«
    Nele verzog das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Da haben Sie leider Recht. Vielleicht versuche ich es heute Abend. Ist wohl besser, wenn ich das mache.«
    »Ja, sicher.«
    Sie hatten ihr Ziel fast erreicht. Nele setzte den Blinker und bog auf den Schotterweg ab. Vor ihnen auf der Kuppe des Hügels hoben sich die drei Schweinemastställe gegen einen grauen Himmel ab. Nele stoppte den Wagen zwischen den Gebäuden.
    Der Wind schlug ihnen schneidend kalt ins Gesicht, und die kleinen Schneekristalle stachen ihnen in die Haut. Beide schlossen ihre Jacken bis unters Kinn, zogen die Schulter zusammen und eilten zwischen heftig flatterndem, teilweise abgerissenem Polizeiabsperrband auf den Maststall zu.
    Mit kalten Fingern fummelte Nele an dem Vorhängeschloss herum, das von einem Mitarbeiter der Polizei angebracht worden war. Drinnen schaltete sie das Licht ein und zog die Tür zu.
    Die Spurentechniker waren längst

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