Bleiernes Schweigen
erste Instanz 1987, die Berufung 1991, das endgültige Urteil 1992. Drei Monate darauf stirbt Salvo Lima.
Die getroffene Mafia entledigt sich ihrer Verhandlungspartner. Die betrogene Mafia reagiert so, wie sie es am besten kann. Die verurteilte Mafia sendet klare Signale aus. Sie hätte Giovanni Falcone vor dem Ministerium in Rom ermorden können. Doch sie beschließt, ihn zu Hause abzufangen, ein Stück Autobahn in die Luft zu jagen.
Jeder soll begreifen, wozu sie fähig ist.
Man soll es sehen, riechen.
Er knipst das Licht an, und sein Herz bleibt kurz stehen.
Für einen Moment glaubt er, da stehe jemand in der Zimmerecke. Ein dunkles, langarmiges Wesen mit fauligem, zahnlosem Grinsen, das sich seiner Alpträume annimmt, bis zum Erwachen.
Er lächelt ein kleines Lächeln, um sich weniger dumm, alt und einsam zu fühlen. Dann schlägt er die Decke zurück, es ist plötzlich zu warm. Er streicht sich das Haar aus dem Gesicht.
Am Tag von Mirris Beisetzung scheint alles zu Ende zu sein.
Keine Hoffnung, keine Zukunft. Nur die farblose, namenlose Wut, die den geschändeten Städten hilft, zu überleben.
Adriano war aus beruflichen Gründen und persönlicher Neugier nach Ravenna gefahren. Er hatte die Menschen betrachtet, die schweigend vom Aufbahrungsraum zur Beisetzung defilierten. Es war fast kein Vertreter jener Welt gekommen, die Mirri gekapert, besiegt und gefügig gemacht hatte. Und die ihn abgeworfen und ausrangiert hatte. Einzig die Semprinis, umgeben von der Menge. Ein paar Unternehmer, uralte Freunde.
Und ein Mann, mit dem Adriano nicht gerechnet hatte.
Luca Rossini, der oberste Boss der Perseo.
Der Mann, von dem alle Frauen träumten und träumen. Der Verführer der Welt, der Staatschefs, Filmstars, Models. Der letzte Italiener, der einen oscarprämierten Film produziert hat. Der Erbe jenes Jetset-Glamours, wie ihn nur die Familie Agnelli verkörpern konnte.
Gebildet, gutaussehend, reich, intelligent, erfolgreich und bei Mirris Beisetzung in stummer Trauer. Perfekt in seinem maßgeschneiderten Anzug, mit gesenktem Kopf und dem langen, kastanienbraunen Haar, das ihm ins Gesicht fällt und die Tränen doch nicht verbergen kann.
Der Mann, der König werden wollte, gramgebeugt wie der letzte Untertan über den Tod eines Mannes, der glaubte sich einen Thron gekauft zu haben, um ihn mit eigenen Händen zu zerstören.
Dieses Bild war um die Welt gegangen.
Rossini hatte sich nicht versteckt, ihm schien die Kraft zu allem zu fehlen, selbst zur obligatorischen Beileidsbekundung. Schließlich war er ins Auto gestiegen, der Fahrer war losgefahren, und die verdunkelten Scheiben hatten ihn vor weiteren, noch schlimmeren Fotos bewahrt. In der darauffolgenden Woche hatte jemand versucht, das Bild zu kaufen. Eine Frau mit ungeklärter Identität hatte die Agenturen und Redaktionen abgeklappert und siebenstellige Summen geboten, um die Negative zu bekommen. Zu spät.
Italien, Land der Intrigen
, hatte ein ultralinkes Blatt getitelt.
Die letzte Eroberung
, lautete eine moderatere Schlagzeile. Es hatte Polemiken über den Segen der Kirche für einen Selbstmörder gegeben, eine im Grunde läppische Sache.
Dann hatten die Bomben wieder das Wort ergriffen.
Monatelang hatte sich Rossini nicht blicken lassen. Er hatte sich in seinem Familiensitz verschanzt, ein Schloss in den umbrischen Bergen. Es hieß, Mirris Tod hätte ihn verändert, er habe beschlossen, Crystal, das französische Model, zu heiraten, mit dem er sich in der Öffentlichkeit gezeigt hatte, und sein Leben zu ändern. Guter Stoff, um die Klatschblätterzu füllen, während es wahrlich dringendere Probleme gab. Nur einmal war er kurz aufgetaucht, Anfang Oktober, als die Gerüchte über die Krise der Perseo nicht mehr kleingehalten werden konnten und einer seiner wichtigsten Manager, Antonio Marsigli, der Mafia-Begünstigung bezichtigt wurde.
Doch auch da schien sich etwas verändert zu haben. Er hatte weder ein exklusives Zeitungs-Interview gegeben noch war er im Fernsehen aufgetreten, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Eine Presseerklärung hatte genügt. Ein paar klare, nüchterne, bestimmte Zeilen auf einem Briefbogen.
Die Perseo hat beschlossen, mit sofortiger Wirkung jegliche Beziehungen zu Signor Antonio Marsigli abzubrechen. Sie schließt überdies nicht aus, auf eine Wiedergutmachung sämtlicher Schäden zu bestehen, die Signor Marsigli dem Unternehmen und seinem Image zugefügt haben könnte. Wir vertrauen auf die Arbeit der Richter, die
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