Bleiernes Schweigen
Darin verbirgtsich das Motiv für die Bombe in der Via d’Amelio. Aber danach hat man nicht gesucht.«
Daniele verschränkt die Arme.
»Du ja.«
»Klar, das weißt du ja. Aber es hat mir nichts gebracht. Nur eine schöne Magenschleimhautentzündung und einen Haufen Zweifel.«
Daniele lächelt matt. Leoffredi öffnet eine hölzerne Zigarrenkiste. Ihr Inhalt besteht aus rund drei Dutzend perfekt gestapelten FIAT-Pralinen. Er hält sie seinem Besucher hin und jeder steckt sich schweigend eine in den Mund.
Draußen vor der Tür brüllt jemand in ein Telefon. Gesprächsgegenstand ist das Abendessen. Leoffredi wirft das Pralinenpapier in den Abfall.
»Eines muss ich wissen«, sagt er. »Ist das hier eine nette Unterhaltung oder mehr?«
»Macht das einen Unterschied?«
»Für das, was ich dir sagen werde, keinen. Für meine persönlichen Erwartungen einen sehr großen.«
Daniele sieht den Kollegen lange an. Er will etwas erwidern, doch Leoffredi kommt ihm zuvor.
»Vergiss es, entschuldige. Ich will es nicht wissen. Noch nicht.« Er reibt sich die Augen. »Was willst du wissen?«
»Erzähl mir von jenem Sommer, nach Capaci.«
Leoffredi geht zum Fenster, sieht hinaus und beginnt zu reden. Lamantias und Ferros Aussagen. Die Aufträge, die Freimaurer, die Geldwäsche durch die legale Wirtschaft. Die Mafia an der Börse. Giordano.
»Das alles weißt du ja bereits«, sagt er schließlich.
Er kehrt zum Schreibtisch zurück und setzt sich vor Daniele auf die Tischkante.
»Einen Monat nach Capaci spricht Borsellino in Messina in der Öffentlichkeit. Er sagt, er habe etwas zu erzählen. Und da er Richter sei, müsse er zusehen, es an der richtigen Stelle zu tun. Beim Abgleich dessen, was Falcone ihm anvertrauthat, und seinen eigenen Überzeugungen sei ihm einiges klargeworden. Und sobald er bereit sei, würde er davon berichten.«
»Er hatte alles durchschaut.«
»Ich habe mich immer gefragt, wieso er das öffentlich gesagt hat.«
»Ein Signal, Carlo.«
Er grunzt.
»Pff … Vielleicht. Die Parallelen lassen sich jedenfalls nicht übersehen. Falcones Ermittlungen, Ferro, der ihm die Verbindungen auf höchster Ebene zwischen Justiz, Geheimdienst und der Cosa Nostra auseinandersetzt. Falcone stirbt. Paolo verhört Lamantia und Ferro, die ihm dasselbe erzählen. Und er versucht herauszufinden, wer Giovanni Falcone ermordet hat.« Er hält inne und isst eine Praline. »Aber wenn man will, kann man es auch noch viel schlimmer sehen.«
Er steht auf, geht um den Schreibtisch herum, setzt sich wieder, knibbelt an der Nagelhaut seines Zeigefingers. Als er weiterredet, scheint er von etwas ganz anderem zu sprechen.
»Ich bin in meinem Leben schon so einigen begegnet. Falcone, Chinnici, Cassarà. Sogar dem General Dalla Chiesa, wenn auch nur kurz. Die wussten, dass sie ihr Leben riskierten. Das brachte ihre Arbeit mit sich, und manchmal stieg das Risiko. Das merkten sie daran, dass sie nach Südtirol oder Costa Rica oder in sonst irgendeinen gottverlassenen Winkel geschickt wurden. Dort warteten sie ab, solange es nötig war, und kehrten dann auf ihren Posten zurück.
Paolo hingegen war sich
sicher
, dass es passieren würde. Er hat diese siebenundfünfzig Tage in der Gewissheit seines Todes gelebt. Ein persönlicher Countdown, der ihn von dem für ihn vorgesehenen Stichtag trennte. Und der ließ sich weder verschieben noch vermeiden. Um Giovanni zu ermorden, haben sie ein Stück Autobahn in die Luft gesprengt. Wenn du weißt, dass du der Nächste bist, wie willst du dem noch entrinnen? Er war sich sicher, dass er sehr bald sterben würde.Und ich sage dir noch was – aber das ist nur meine persönliche Vermutung: Auch viele andere wussten es. Und sie haben tatenlos zugesehen und gewartet, dass es passiert. Man stirbt, wenn man allein gelassen wird, das wissen wir beide. Und einsam kann man auch inmitten der Menschen sein, denen man vertrauen müsste.«
Mit zusammengepressten Lippen lässt er sich in den Sessel fallen, am Nagel seines Zeigefingers klebt trockenes Blut.
»Ich habe ihn dauernd in sein Notizbuch schreiben sehen. Womöglich hat er darin die Vertraulichkeiten notiert, von denen er in Messina sprach, oder seine Gedanken. Und natürlich seine Termine. Deshalb wurde es entwendet. Und das ist alles andere als nebensächlich. Wenn man es schafft, den Terminkalender verschwinden zu lassen, ohne an der Tasche zu rühren, dann war man vorbereitet. Es war alles bereits durchdacht.«
Er schweigt. Denkt nach. Will
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