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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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woher ich das weiß. Ich weiß es und basta. Er sagt, er sei von seiner Tochter gewesen, die ihm berichten wollte, in der Stadt habe es einen Anschlag gegeben, eine Bombe sei explodiert. Der Anruf wird von einem Festnetzanschluss oder von einer Zelle aus getätigt und lässt sich nicht zurückverfolgen. Kaum ist das Telefonat beendet, ruft Giordano beim Sitz des SISDE in Palermo an – nicht beim Castello, wohlgemerkt, sondern beim offiziellen Büro des SISDE. Klar, das könnte auch ganz normal sein, womöglich will er Näheres über das Attentat erfahren. Schade nur, dass der Sitz, in dem sogar jemand ans Telefon geht, an diesem Sonntag geschlossen ist, so wie an allen verdammten Sonntagen zuvor und danach. Giordanos Anruf bleibt der einzige.«
    »Zufall.«
    »Zufall, Elena. Sage ich doch. Was sollte daran merkwürdig sein. Wenn da nicht die Uhrzeiten wären.«
    Er dreht sich um und vergewissert sich, dass Elena noch mitschreibt.
    »Paolo Borsellino stirbt um sechzehn Uhr achtundfünfzig und ein paar Sekunden. Die ersten Polizeistreifen – ihr habt’s gesehen – treffen rund eine Viertelstunde später in der Via d’Amelio ein. Michele Giordanos Anruf erfolgt um Punkt siebzehn Uhr. Dazwischen erhält der Bootsbesitzer den Anruf der Tochter. Weniger als zwei Minuten nach der Explosion wissen die Leute auf diesem Boot bereits, was passiert ist.«
    Er fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Plötzlich wirkt er sehr müde.
    »Zwei Minuten«, wiederholt er. »Zwei Minuten. Wenn man nicht dort war und es mit eigenen Augen gesehen hat oder es selbst getan oder es von jemandem erfahren hat, der es getan hat, kann man es nicht wissen. Das kann man nicht. Das kann man nicht.«
    Seine Stimme wird wieder lauter.
    »Und wie dem auch sei – wenn man dort war, es gesehen hat, es selbst getan hat oder es von jemandem erfahren hat, der es getan hat – dann ist man schuldig.«
     
    Stille.
    Das leise Prasseln der Tropfen gegen die Fenster.
    Die Schatten der Passanten, die an den beschlagenen Scheiben vorbeihuschen.
    Ein Auto, das die Kreuzung vor dem Vorstadtparkplatz überquert, auf dem sie stehen.
    Elena spielt mit dem Knopf ihres Kulis, die Augen auf ihre Notizen geheftet. Zeichen, die ihren Blick kreuzen, ohne wahrgenommen zu werden.
    Stille.
    Dann Adrianos Worte. Er überspringt die Gegenwart und fängt von vorn an.
    »Principatos Telefon«, sagt er. »Vielleicht hat gar nicht er es benutzt.«
    Giuseppe braucht einen Moment, bis er begreift.
    »Ja, das habe ich auch gedacht. Das wäre eine Möglichkeit.«
    Stille.
    Elena klappt die Notizen zu, die Kulispange ist zwischen die Seiten geklemmt.
    »Was du uns also gerade sagen …«
    Giuseppe hebt die Hand.
    »Ich will euch gar nichts sagen. Klar?«
    »Ist klar, ist klar. Ich will’s anders ausdrücken. Aus dieser Geschichte geht ziemlich deutlich hervor, dass in Paolo Borsellinos Tod irgendwelche Staatsorgane verwickelt sind. Und dass es Staatsorgane gibt – denn das bist du doch, stimmt’s? Ein Staatsorgan –, die versuchen, Abhilfe zu schaffen. Doch es geht nicht daraus hervor, was gerade passiert. Bevor wir in diesen Alptraum hineingezogen wurden, haben wir uns um Bestechung, manipulierte Aufträge und Schmiergelder gekümmert, die in Parteikassen oder auf Privatkonten geflossen sind. Um die Verflechtung von Politik und organisierter Kriminalität. Aber auf einer anderen Ebene. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke.« Sie fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Alles war sonnenklar. A zahlt B, um einen Auftrag, einen Gefallen, eine Unterstützung oder sonst was zu bekommen. B steckt das Geld ein, zweigt einen Teil davon an seine Partei ab und behält den Rest.«
    »Oder das Unternehmen der Corleonesi sackt das Geld der öffentlichen Aufträge ein«, erklärt Giuseppe. »Entweder es wird gebaut oder nicht, und wenn gebaut wird, nimmt man weniger Zement als nötig oder lässt die Arbeiten eine Ewigkeit dauern, um noch mehr Geld zu bekommen.«
    »Wie das läuft, wissen wir, aber …«
    Adriano unterbricht sie.
    »Da ist dieser Bericht, richtig?«
    Giuseppe antwortet nicht. Wartet ab. Fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Schluckt.
    »Da ist dieser Bericht über die Auftragsvergabe«, fährt mein Vater fort. Und diesmal ist es keine Frage.
    »Sagen wir, unsere Gleichung hat zwei Unbekannte. Und um sie zu lösen, gibt es noch andere.«
    »Welche?«
    Giuseppe antwortet nicht auf Elenas Frage. Er lässt sich gegen die Rückenlehne fallen. Denkt nach,

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