Bleiernes Schweigen
angerufen. Das Zentrum behauptet, nicht zu wissen, wer den Apparat benutzt. Wenn man auf die Antwort pfeift und sich auf die von dem geheimnisvollen Anrufer gewählten Nummern konzentriert, findet man heraus, dass er mit einer in Rom ansässigen Tarnfirma des Verfassungsschutzes namens Gus in Kontakt steht. Und auch das weiß ich aus persönlicher Erfahrung.«
Ganz plötzlich herrscht Schweigen. Elena sieht von ihrem Block auf. Eine Folge von Namen, Daten, Personen, zwischen denen kein ersichtlicher Zusammenhang besteht. Meine Frau sieht den Mann an, der soeben verstummt ist. Sie fragt sich, wer er ist, wieso er diese Geschichte erzählt, welche Rolle er ihnen zuweisen möchte.
Sie bricht einen Keks durch und isst nur die Schokoladenhälfte.
»Hübsche Story«, fängt sie an. »Mafiosi, die in einem Zentrum voller Geheimdienstler anrufen, von dem aus man in aller Seelenruhe das ganze Geschehen beobachten konnte. Ein Mietshaus, in das man lächerlich einfach hineinkommt und das über eine Terrasse mit Blick auf die Via d’Amelio verfügt, von der aus man die Bombe perfekt hätte zünden können. Da liegen Kippen herum. Ganz frische. Das Gebäude ist von einem Unternehmen gebaut worden, das nach Mafia stinkt. Und du glaubst, das sei der richtige Ort. Du glaubst es auch noch, als zwei Polizisten auftauchen. Dann erfährst du, dass sie einen Bericht geschrieben haben, dass der Bericht verschwunden ist und dass sie die beiden Beamten sonstwohin versetzt haben. Und dass man einen Drogendealer verhaftet hat, der drei Kleinkriminelle, die wegen Vergewaltigung geschnappt wurden, mit dem Autoklau beauftragt hat.«
Sie sieht Adriano an.
»’ne wirklich tolle Story«, wiederholt sie.
Giuseppe isst den letzten Keks. Die Kalorien, die er für den letzten Aufstieg braucht.
»Und du hast das Ende noch nicht gehört«, fährt er fort. »Es gibt zwei Punkte, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Und beide betreffen dieselbe Person. Die Nummer drei des Verfassungsschutzes, die dort außerdem Antimafia-Beauftragter ist. Michele Giordano.«
Der Rest der Unterhaltung findet im Auto meines Vaters statt. Giuseppe wollte gehen. Doch vorher hat er noch ein Tütchen dieser Kekse gekauft. Jetzt liegt sie auf der Armstütze zwischen den Vordersitzen und wird reihum von den Wageninsassen heimgesucht. Mein Vater auf dem Fahrersitz. Giuseppe neben ihm. Elena hinten in der Mitte.
»Von dem, was ich euch jetzt sagen werde, gibt es kein Zurück mehr. Das solltet ihr wissen, ehe ihr zuhört. Wenn einer von euch will, dass ich gehe, kann er mich jederzeit unterbrechen. Ich werde aus diesem Auto steigen und ihr seht mich nie wieder. Und wenn einer von euch nicht zuhören will, kann er die Tür aufmachen und weggehen, und ich würde ihn nicht für feige halten.«
Er starrt durch die Windschutzscheibe. Es wird Abend, der Regen setzt wieder ein, fast lautlos.
Als er wieder zu sprechen anfängt, ist seine Stimme fest. Er betont die Silben, sein Blick wandert zwischen Elena und Adriano hin und her. Bis zum Ende wird er keinen Keks mehr anrühren.
»Von Michele Giordano wird schon eine ganze Weile geredet. Und das wird in den nächsten Monaten noch mehr. Es gibt Ermittlungen, die ihn schwer belasten, und es wird einen Rieseneklat geben. Glaubt mir, ich habe persönlich dazu beigetragen.«
Er verstummt, sucht nach den richtigen Worten. Deutet ein kleines Lächeln an, das sofort wieder verschwindet.
»Manche behaupten, allein Michele Giordanos Namen in den Mund zu nehmen kann einen das Leben kosten. Ich selbst habe mit zwei
Pentiti
* der Cosa Nostra geredet, und die haben mir erzählt, es sei nur dem rechtzeitigen Fingerzeig Michele Giordanos zu verdanken, dass Totò Riina* nicht schon 1981 festgenommen wurde. Es gibt eine Wohnung in Palermo, die von den Eigentümern des Mietshauses gebaut wurde, auf dessen Terrasse ihr wart, und die Michele Giordano zur Verfügung steht. Buscetta* erzählt, Giordano habe das schon mehrmals getan, für andere Bosse, und im Grunde sei er einer, der Informationen weitergibt, einer, mit dem man rechnen kann.«
Er schließt die Augen. Hebt leicht den Kopf, als würde er beten.
»An dem Sonntag, als Borsellino stirbt, ist Giordano auf einem Boot vor Palermo. Zwei Personen sind mit ihm an Bord. Sein Vize Francesco Ceccarelli und der Bootsbesitzer, ein Geschäftsmann, der sich in Cosa-Nostra-Kreisen gut auskennt. Sie sind also auf dem Boot. Und dieser Geschäftsmann erhält einen Anruf. Fragt mich nicht,
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