Bleiernes Schweigen
den Stift sinken. Giuseppe leert seinen Cappuccino.
»Wartet eine Sekunde«, sagt er. »Die Telefone der Familie Borsellino wurden abgehört. Das bestätigt ein Gutachten. Offenbar brauchte es dazu nur eine externe Abzweigung. Eine Schaltung, die man nur nach Bedarf einsetzt, damit sie nicht bemerkt wird. Nur muss man dann, wenn man sie aktiviert, sicher sein, dass jemand zu Hause ist. Die Borsellino-Familie behauptet, seit Anfang Juli zahlreiche stumme Anrufe erhalten zu haben, zur Mittagszeit, zur Abendbrotszeit, am Nachmittag. Und hin und wieder habe das Telefon einfachso geklingelt, als hätte es einen Fehlkontakt gegeben. Oder es war besetzt, wenn man anrief, obwohl niemand telefonierte. Die Nichte erinnert sich, am Morgen des 14. Juli ein paar Techniker der Telefongesellschaft ELTE im Haus gesehen zu haben. Sie meinten, sie müssten einen neuen Anschluss freischalten. So oder so, nach dem Attentat hatten die Störungen ein Ende.«
»Und was sagt die Telefongesellschaft?«
»Die ELTE arbeitet für alle. Auch für den Geheimdienst. Freiwillig würden die nie etwas sagen …«
Er bestellt einen halben Liter Mineralwasser und trinkt direkt aus der Flasche.
»Aber sie haben eine Liste der Angestellten«, redet er weiter. »Und der Schichten. Man muss sich ein bisschen den Arsch aufreißen, aber am Ende kriegt man, was man will. Ich erspare euch die Details. Der Typ, der für den Job in Frage kommen könnte, ist der Bruder eines Mafioso der Acquasante-Familie, nämlich Salvatore Principato. Er hat sogar gewisse Ähnlichkeit mit einem der Techniker, die Borsellinos Nichte getroffen hat. Also werden die Telefone der Principatos unter die Lupe genommen. Und jetzt kommt’s.«
Er trinkt einen Schluck.
»Salvatore Principato telefoniert viel und unter seltsamen Umständen. Er ruft einen Arzt an, der zum Dunstkreis einiger Cosa-Nostra-Bosse gehört, und zwar wenige Minuten nach einem am 18. Juli geführten Telefonat, in dem Borsellino seiner Mutter sagt, er werde sie am nächsten Tag besuchen. Ein Zufall, sicher. Gut möglich. Nur, dass Principato auch oft beim CERISDI anruft.«
»Im Castello sitzt der Geheimdienst, stimmt’s?«
Giuseppe breitet die Arme aus.
»Ich sagte doch schon. Ihr braucht mich nicht, um …«
Elena unterbricht seine Show. Sie betont jede Silbe.
»Sitzt da der Geheimdienst oder nicht?«
Giuseppe wird wieder ernst.
»Vor allem dem SISDE*«, antwortet er. »Aber hiermit nehme ich’s gleich wieder zurück. Und nur, um es gesagt zu haben, ich gehöre nicht dazu. Klar?«
»Woher weißt du das?«
»Dass der Verfassungsschutz da sitzt? Wie gesagt, ich weiß es nicht. Sagen wir, ich kenne die Telefonnummern und kann zwei und zwei zusammenzählen. Man muss kein Genie sein, um zu kapieren, was Sache ist. Außerdem kenne ich jemanden, der bei einem Cappuccino gern ein wenig plaudert.« Er macht eine Pause. »Das ist ein merkwürdiger Haufen im Castello. Da sind Leute, die früher bei den Carabinieri und dann beim Hochkommissariat zur Mafiabekämpfung waren und dann abgeordnet wurden. Die werden sich wohl alle weiterbilden müssen. Oder vielleicht haben sie sich aufs Unterrichten verlegt.«
Mein Vater nickt. Er greift nach einem Keks. Giuseppe lächelt breit.
»Die sind gut, nicht?«
»Ja, köstlich. Wir waren bei Principatos Telefonaten.«
»Ja. Vor allem eine Nummer beim CERISDI. Von einem, der noch nicht einmal dort angestellt ist. Ein freier Mitarbeiter, Giulio Occhipinti. Wenn man dort nachfragt, wissen sie, wer das ist, und antworten höflich, dass sie seine Dienste in Anspruch nehmen. Aber mehr sagen sie nicht.«
»Man muss es ja nicht glauben.«
»Genau, Adriano, die sind nicht glaubwürdig. Principato kontaktiert Occhipinti lange vor der Bombe in der Via d’Amelio, nämlich Anfang Februar. Er tut es nur dieses eine Mal und er hat sich nicht verwählt, denn ehe er ihn auf der Arbeit anruft, probiert er es zu Hause. Weil er Occhipintis Durchwahl nicht hat, geht er über die Zentrale. Und obwohl das Zentrum verpflichtet ist, sämtliche Anrufe aufzuzeichnen, haben sie den vergessen. Wer weiß, wie viele sie noch unter den Tisch haben fallen lassen. Den Milchmann, den Schreibwarenhändler, den Putzmann. Doch ein merkwürdiger Zufallist das schon. Wenn man sich Occhipinti näher anschaut, wird es noch wilder. Dafür, dass er nur freier Mitarbeiter ist, ist er ziemlich gefragt. Einige Wagen des CERISDI sind mit Autotelefonen ausgestattet, und von einem dieser Telefone wird er häufig
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