Bleiernes Schweigen
Accademia dei Georgofili, von der Bombe in der Via Palestro und von denen in den Kirchen San Giorgio al Velabro und San Giovanni in Laterano.
Sie waren zusammen nach Rom gefahren, um ihn anzuhören. An einem höllisch heißen Morgen in einer Wohnung in Tuscolano. Baldacci hatte noch nicht einmal geschwitzt. Fakten, auf die er nicht näher eingehen wollte, erwähnte er nur nebenbei, und er warf ihnen Informationen hin wie ein Angler, der auf seine Beute lauert. Sie hatten trotzdem weitergemacht, die Akte geöffnet und versucht, sämtliche mühsam zusammengekratzten Puzzleteilchen zusammenzusetzen.
Zwei Jahre später hatten sie kapituliert. Seit dem Tag der Archivierung hatten sie sich nicht wiedergesehen.
Wir haben es getan, weil sie es von uns verlangten.
Eine Zeitlang hatte Andrea versucht, alles zu vergessen. Er hatte die Gelassenheit verdrängt, mit der Baldacci auf seine Wahrheit anspielte, die Halbsätze, mit denen er sie auf die richtige Spur bringen wollte, die mit Stolz gemischte Reue, die in der Schilderung seiner Killerkarriere mitschwang. Er hatte das Zimmer vergessen, die stets gepflegte Kleidung, Danieles Fragen und die fehlenden Antworten, die über den alten Prozessakten verbrachten Nächte, die Vermutungen und Bestätigungen, die wieder neue Zweifel aufwarfen.
Anders als gedacht war es ihm sogar gelungen, die Perseo zu vergessen.
Er hatte sich einreden können, dass alles, was er zu wissen meinte, falsch sei, ein Fehler, der beinahe unverzeihlich geworden wäre.
Dann war da dieser Morgen im Gericht gewesen. Zwei Tage später hatte er von Solara erfahren. Danach war alles viel zu schnell gegangen.
»Weißt du, wo er ist?«
Danieles Stimme. Die Vergangenheit verschluckt die Gegenwart.
»Baldacci? Das kann ich rausfinden. Was erhoffst du dir von ihm?«
»Es ist viel Zeit vergangen, und wir wissen Dinge, die wir damals noch nicht wussten. Vielleicht hat er es sich überlegt.«
»Wie lange glaubst du, es noch geheim halten zu können?«
»So lange wie nötig. Hast du dich jemals gefragt, was passiert wäre, wenn wir es damals auch getan hätten?«
»Das konnten wir nicht.«
»Das ist mir egal, Andrea. Hast du es dich gefragt?«
Er nickt.
»Immer.«
»Und hast du eine Antwort gefunden?«
Er zuckt die Achseln. Manchmal glaubt er, sie werden die Beweise niemals finden. Es gibt sie nicht, hat sie nie gegeben.
Jahrelang, auch als die Ermittlungen zu den Auftraggebern der Attentate einer vernarbten Wunde glichen, die sich an Regentagen wieder bemerkbar macht, hatte er sich gefragt, ob das alles nicht nur ein Spiel sei. Ob nicht irgendjemand sie aus der Ferne über unsichtbare Spuren in eine Sackgasse gelotst hatte, um sie zur Aufgabe zu zwingen oder umzubringen.
Das geschah ganz zufällig, beim Überfliegen einer Zeitungsmeldung oder bei mit halbem Ohr gehörten TV- oder Radionachrichten. Doch jedes Mal war das Ergebnis das gleiche.
Wir haben uns nicht geirrt, dachte er. Wir haben uns nicht geirrt, wiederholte er wie ein Gebet. Wir haben uns nicht geirrt, denkt er jetzt, während die Schatten im Stadion länger werden und die Zeit sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben scheint, so dass alles wieder ganz nah und ungleich viel undurchschaubarer ist.
»Vielleicht will ich sie mir nicht geben«, sagt er. »Vielleicht will ich nur herausfinden, ob es eine gibt.«
Zwei Wochen lang war nichts passiert.
Ich hatte vergeblich versucht, Daniele zu erreichen. Nur einmal hatte ich ganz kurz mit ihm gesprochen. Wenige Worte am Telefon, verquaste Sätze, in denen ich nicht durchblicken lassen wollte, wie hin- und hergerissen ich war zwischen dem dringenden Wunsch, ihn zu sehen, und dem Versuch, es mir nicht anmerken zu lassen. Er müsse sich mit einem ziemlich großen Problem herumschlagen, und seinem Tonfall meinte ich anzuhören, dass dieses Problem auch mich betraf.
Von einem aus der Mannschaft hatte ich Andreas Telefonnummer bekommen, doch sie war nicht vergeben. Ich hatte nicht erwartet, dass es so einfach sein würde. Dann hatte ich es mit einer Mail versucht, der einzige Kontakt, den ich hatte. Auch diesmal keine Antwort.
Versuch nicht, mich zu kontaktieren, hatte er an jenem Abend gesagt. Ich bin nicht dein Informant und du bist nicht meiner. Noch immer geisterten diese Worte durch meinen Kopf, zusammen mit dem Versprechen, ein Treffen mit Elenas Informanten zu organisieren. Ein Pakt, an den ich inzwischen nicht mehr glaubte.
Rückblickend erscheint mir diese Woche als die
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