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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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das?«
    »Der Artikel einer Presseagentur.«
    Ich lese. Die Agentur heißt Italia. In dem Artikel geht es um einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag, der den Ausgang der italienischen Präsidentenwahl beeinflussen soll. Als Datum wird der Tag vor dem Attentat von Capaci angegeben.
    »Interessant, finden Sie nicht? Insidergerüchten zufolge hat das ein Politiker geschrieben, der dem Präsidenten Andreotti, dem eigentlichen Verlierer dieser Wahl, sehr nahestand. Inzwischen ist er tot und man kann ihn nichts mehr fragen. Aber wie es aussieht, stinkt die Agentur Italia verdammt nach Geheimdienst. Ein paar Monate zuvor hatte sie einen anderen Artikel herausgegeben, in dem es ziemlich freimütig um die sezessionistischen Winkelzüge der Cosa Nostra ging. Staat werden, sich von Italien abspalten. Ich nehme an, das erinnert Sie an etwas.«
    Am liebsten würde ich lachen, nur um die Spannung zu lösen. Ein unmögliches Unterfangen.
    Ich gebe das Blatt zurück.
    »Das hier«, fährt er fort, »ist ein Brief, den ein Oberstaatsanwalt erhalten hat, dessen Namen ich Ihnen nicht nenne. Der Absender ist ein bereits wegen Irreführung der Ermittler bei einem der italienischen Attentate verurteilter Herr. Der Inhalt spricht, wie Sie sehen, für sich. Er kündigt eine neue Strategie der Spannung zwischen März und Juli 1992 an, mit Sprengstoffattentaten und Morden an Regierungsvertretern. Das Ziel ist offenbar eine neue politische Ordnung unter Einbeziehung wirtschaftlicher und finanzieller Kräfte, die Verbindungen zu Rauschgifthandel und Freimaurerkreisen haben.«
    Ich lese. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder schreien soll, doch das ist noch nicht alles.
    »Wie Sie sich vorstellen können, hielt der Empfänger ihn für die übliche heiße Luft eines erklärten Bluffers. Doch eine Woche später bringt jemand Salvo Lima um. Es vergeht noch eine Woche, und der Verfasser des Briefes wird vernommen. Ohne jegliches Ergebnis – wie schon Jahre zuvor.«
    Ich gebe ihm den Brief zurück und rutsche unruhig auf dem Sofa herum. Es fällt mir schwer sitzenzubleiben, aber ich will auch nicht aufstehen. In diesem Haus ist zu viel Licht für das, was er erzählt.
    »Ein paar Monate später explodieren die Bomben in Capaci und der Via d’Amelio.«
    Er schlägt die Mappe zu und sieht mich an.
    »Wissen Sie, was mit der Tasche voller Sprengstoff passiert ist, die man in Addaura gefunden hat? Man hat sie hochgehen lassen. Das ist bis dahin nur einmal passiert, und zwar nicht weniger als zwanzig Jahre zuvor. Mit einem der Blindgänger, die man nach dem Anschlag am 12. Dezember 1969 in Mailand gefunden hat. Damals hieß es, aus Sicherheitsgründen. In Wirklichkeit erscheint es sonnenklar, dass man die Herkunft des Koffers vertuschen wollte. In Addaura war es ein technischer Fehler.«
    Er schweigt einen Moment.
    »Können Sie mir folgen?«, fragt er. »Wieso sollte der Staat so viel Aufwand treiben, um einen Richter umzubringen? Wieso sollte er seine geheimsten Ressourcen nutzen, um die Ermittlungen zur Geldwäsche und zu den Verbindungen zwischen legaler und krimineller Wirtschaft zu verhindern?«
    »Ihr Vater.«
    »Bildlich gesprochen, ja. Wenn legale und illegale Wirtschaft sich decken, wenn der Strippenzieher der wirtschaftlichen auch die politische Macht beeinflussen kann – was auch bedeutet Wahlen und Amtsvergaben – und mit der kriminellen Macht so unter einer Decke steckt, dass man sie nicht mehr voneinander unterscheiden kann, wieso sollte der Staat dann einem schnüffelnden Richter erlauben, seine Nase da hineinzustecken?«
    Er atmet tief durch.
    »Ich habe Informationen über Sie eingeholt, wissen Sie?«
    »Das überrascht mich nicht.«
    »Nachdem ich Ihren Brief erhalten hatte, habe ich versucht dahinterzukommen, wer Sie sind. Abgesehen natürlich von Ihrem Nachnamen. Jeder, der von Ihnen gesprochen hat, hat immer zwei Adjektive benutzt. Verantwortungsvoll und mutig.«
    Ich falle ihm ins Wort.
    »Postume Glorifizierungen sind mir lieber.«
    Er lächelt.
    »Sie haben Tangentopoli miterlebt, Sie wissen, was für ein Wind da wehte.« Er hält inne. Zum ersten Mal seit ich ihn kenne, wirkt er verwirrt, als würde er vergeblich nach etwas suchen. Nach einem Wort, einem Satz, einem Gefühl. Mit der jähen Bewegung eines Tieres, das etwas Verdächtiges gesehen hat, legt er die Mappe auf den Tisch zurück.
    »Sie und ich sind gleich alt. Vielleicht waren wir damals zu jung, um zu begreifen, was vor sich ging.«
    »Ich kann Ihnen nicht

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