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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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folgen.«
    »In der Welt meines Vaters galten bestimmte Regeln. Klingt vielleicht seltsam für ein Milieu, das davon lebt, die Gesetze zu umgehen und zu brechen. Doch es ist so. Die Unterteilung in Blöcke, Ost und West, Russen und Amerikaner, Kommunisten und Christdemokraten. Die beiden Kirchen. Mein Vater hatte natürlich Beziehungen zu beiden, doch selbstverständlich zog er den Vatikan vor. Hin und wieder frage ich mich, ob er heute auch noch so denken würde, aber das ist ein anderes Thema. Diese Welt bricht 1989 zusammen. In dieser Welt spielte die Cosa Nostra eine entscheidende Rolle. Wenn man etwas über die Mafia sagen kann, dann, dass sie nie für den Kommunismus war, von Geldgeschäften einmal abgesehen. Und als Kämpfer gegen den Kommunismus ist sie seit jeher benutzt worden. Mit dem Fall der Berliner Mauer ändert sich alles. Können Sie mir jetzt folgen?«
    Ich nicke unmerklich, und Di Donna fährt fort.
    »1990 sitze ich eines Abends mit ein paar italienischen Politikern beim Abendessen. Sie hatten keine Ahnung, wer ich war, und eigentlich war ich rein zufällig dort. Wir waren natürlich im Ausland. Einer von ihnen hatte einen engen Draht zur Parteiführung der Democrazia Cristiana, und im Laufe des Abends sagte er etwas zu mir, das ich damals nicht recht verstand. ›Uns wird’s nicht mehr lange geben.‹ Er hatte das einfach so hingeworfen, mit Wehmut und vielleicht einem Quäntchen Verzweiflung. Kurz darauf hatte ich es vergessen. Ein paar Jahre später, als das ganze Gebäude zusammengestürzt ist, ist es mir wieder in den Sinn gekommen. Das Gleichgewicht beruht auf zwei Kräften, und wenn es die eine nicht mehr gibt, kann auch die andere sich nicht mehr halten. Tangentopoli hat alles nur beschleunigt und die Richtung geändert. Aber eigentlich lag alles schon fest. Es musste lediglich ein neues Gleichgewicht hergestellt werden. Das müssen Sie sich gut merken, es ist der wichtigste Punkt.«
    Ich nicke. Di Donna nimmt die zweite Mappe vom Tisch und legt sie neben sich aufs Sofa. Ehe er fortfährt, melde ich mich zu Wort.
    »Seit unserem ersten Treffen setzen Sie alles daran, mir klarzumachen, dass hinter Falcones und Borsellinos Tod die Welt steckt, die mit Ihrem Vater in Verbindung stand.«
    »Ich muss Sie korrigieren. Nicht sie stand mit meinem Vater in Verbindung, sondern er stand mit ihr in Verbindung. Das ist ein Unterschied.«
    »Nun, Sie werden verstehen, dass mir Ihre Aussagen, so detailliert sie auch sein mögen, nicht genügen.«
    Er wirkt nicht überrascht.
    »Keine Frage. Und ich habe vor, Ihnen sämtliche nötigen Beweise zu liefern. Zumindest die, über die ich verfüge.«
    Er greift nach der Mappe und legt sie sich auf die Knie.
    »An dem Morgen, als mein Vater gestorben ist, herrschte eine beängstigende Stille. Ich habe es sofort bemerkt, als ich vom Zeitungskauf wieder zurückkam. Laura, die Haushälterin, kochte gerade. Eine Zabaione. Seitdem habe ich nie wieder eine Zabaione angerührt. Er ist schon im Arbeitszimmer, hat sie gesagt. Er war bereits dort, als ich aufgestanden bin. Lauschend bin ich an der Tür vorbeigegangen, und als ich kein Geräusch hörte, beschloss ich zu warten. Als ich am Abend zuvor ins Bett gegangen war, hatte er noch gearbeitet. Ich hörte ihn englisch sprechen, konnte aber nichts Genaues verstehen. An jenem Morgen bin ich eine halbe Stunde in meinem Zimmer geblieben. Keine Ahnung, was ich gemacht habe, ich erinnere mich nicht mehr. Dann habe ich beschlossen, hinzugehen und ihn zu unterbrechen. Ich wollte verstehen, mit ihm reden. Zwischen uns hatte es nie viele Worte gegeben. Ich habe geklopft, doch er hat nicht geantwortet, und mit jugendlicher Arroganz bin ich einfach eingetreten. Mein größtes Glück war, dass ich kein Geräusch machte. Ich hatte nichts in der Hand, was ich hätte fallenlassen können, bin nirgendwo angestoßen und auch nicht in Tränen ausgebrochen. Ich habe ihn einfach nur angesehen. Das Wasserglas, die Flasche, die Tabletten. Ich habe die Tür hinter mir zugemacht, die Zeitungen aufs Sofa neben dem Bücherregal gelegt und ihn berührt.«
    Er holt tief Luft, ohne mich anzusehen.
    »Er war kalt. Ich habe ihn nur berührt, um mir sicher zu sein. Ich wusste, dass er tot war, das war mir sofort klar. Und auch, dass er sich nicht umgebracht hatte. Mein Vater hätte das nie getan. Er hätte sie allesamt mitgenommen, Politiker, Kardinäle, Mafiosi. Alle. Ich habe mich in seinem Büro umgesehen. Der See hinter der Fensterfront. Das

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