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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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dasselbe ging.«
    »Folge dem Geld«, hatte Adriano geflüstert. »So funktioniert’s.«
    Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Die völlige Emotionslosigkeit, mit der ich aufgewacht war, war einem steten, nervtötenden Brummen gewichen, einer Mischung aus Migräne, Weltschmerz, Trauer, Erschöpfung und einem überwältigenden Gefühl der Machtlosigkeit, das mich zu ersticken drohte.
    »Du wolltest, dass sie aufhört.«
    Ich hatte das einfach so herausgehauen, wie so oft bei ihm. Er verstand nicht.
    »Elena. Vor kurzem ist es mir wieder eingefallen. Ich hatte immer gedacht, sie würde mit mir streiten. Ich habe mich geirrt.«
    »Monatelang hatte ich auf sie eingeredet. Ich wollte sie davon abbringen, ihr zusetzen.« Er sah mir in die Augen. »Es wäre besser gewesen, ich hätte ihr geholfen.«
    Ich hatte nicht geantwortet, so baff war ich, dass mein Vater denselben Zweifel hegte, den ich all die Jahre mit mir herumgeschleppt hatte. Einen Moment lang war ich kurz davor, ihm zu erklären, dass das, was wir taten, der einzige Weg der Wiedergutmachung sei, doch dann hatte ich es bleibenlassen. Zu rhetorisch, um wahr zu klingen.
    Das, was wir taten, taten wir für uns, nicht für Elena. Kein Lebender tut etwas für einen Toten. Nicht einmal, um ihm eine Ehre zu erweisen. Den Toten bleibt die in der Erinnerung und den Dingen eingegrabene Vergangenheit. Die Zurückbleibenden sind dazu verdammt, weiterzumachen, zu verstehen, und manchmal erben sie die gleiche Obsession.
    »Niemand trägt Schuld«, hatte ich schließlich gesagt.
    Sie war es, hatte ich eigentlich sagen wollen, doch er hätte es nicht verstanden. Sie war mutig und verrückt, von der gleichen Verrücktheit wie einer, der in ein brennendes Haus rennt, um jemanden zu retten, und als Held endet.
    Es gibt keine Helden. Es gibt instinktive Handlungen, Dinge, die man nie tun würde und die man doch tut, den Wahnsinn, mit dem man die Wirklichkeit ignoriert und seinen Wunschbildern folgt. Den absurden Moment, in dem einzig das zählt, was man tun will. Da ist keine Wahrheit, keine Gerechtigkeit, kein Gut, kein Böse, es ist eher wie Heißhunger oder brennender Durst.
    Auch Elenas Tod ist so gewesen, und weder ich noch Adriano oder unsere Tochter hätten sie abhalten können, genauso, wie uns jetzt keiner abhalten kann.
    Dort, auf dieser Bank, mit den letzen Nachwehen des Jetlags, die sich allmählich bemerkbar machten, habe ich es begriffen: Dies war eine Reise ohne Wiederkehr. Irgendwann würden wir ankommen oder unterwegs verloren gehen. Für immer.
     
    »Ich habe Angelo Mazza vor zwei Jahren kontaktiert.«
    Daniele und Andrea sitzen in einer Ecke der Ehrenloge. Die dringlichen Blicke der Eskorte haben den Richter nicht davon abhalten können. Worte brauchen Komfort und Ruhe.
    »Er hatte sich bereits mit den Reales zusammengetan und war wegen Drogenhandels eingebuchtet worden. Die Anschuldigungen waren heftig, und wir wollten versuchen, eine Einigung herbeizuführen. Um den Kontakt mit Mazza herzustellen, wurde eine Inspektion angeordnet. Alle mussten raus, die Zellen wurden ausgeräumt und jedes Staubkorn untersucht. Dann haben wir sie uns einen nach dem anderen in einem separaten Raum vorgeknöpft. Schließlich war er an der Reihe, und wir waren allein. Ich habe ihm die Situation ohne großes Drumherum erklärt. Wenn alles so bliebe wie bislang, würde er mindestens zwanzig Jahre sitzen. Wenn er meinen Vorschlag annähme, wäre er binnen einer Woche raus, ohne Anklage, ohne Beweise. Ich würde die Sache regeln. Im Gegenzug wollte ich alles wissen. Sämtliche Insiderdetails, in Echtzeit. Er hat nicht eine Sekunde überlegt. Raucht einer deiner Schutzengel?«
    Daniele ruft den Chef der Eskorte und lässt sich zwei Zigaretten anzünden. Andrea zieht und fährt fort.
    »In Wirklichkeit hatte ich geblufft. Hätte ich ihm gesagt, was ich von ihm erwartete, hätte er sich niemals darauf eingelassen.« Noch ein Zug, diesmal länger. »Als ich ihm erklärt habe, dass wir es auf Provenzano abgesehen hatten, hat ihn fast der Schlag getroffen.«
    »Und wie wolltest du an ihn rankommen?«
    »Über Reale und Graffeo. Das war der Weg. Es brauchte Zeit, und man musste behutsam vorgehen. Wäre nicht das erste Mal gewesen, dass uns alles um die Ohren fliegt.«
    Daniele sieht weg, die Zigarette zwischen den Lippen.
    »Mitte der Neunziger arbeitete ein hohes Mafia-Tier für den Staat. Ein Angehöriger der Cosa Nostra, der den Carabinieri die Tür zu Provenzanos Unterschlupf

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