Bleiernes Schweigen
und blickt hinaus. Er scheint keine Eile zu haben.
Er lässt mich schmoren. In den Fünfzigern gehen die Capobiancos nach Kanada und Venezuela, zwanzig Jahre später sind sie der Dreh- und Angelpunkt für sämtliches Heroin, das in die Vereinigten Staaten gelangt. Es kommt aus Kolumbien, Sizilien, Kalabrien, der Türkei und Russland. Eine Geldflut, die in großem Stil ins Baugeschäft investiert wird. Geld, das durch ahnungslose oder scheinbar ahnungslose Banken um die ganze Welt geht. Es fließt in Steuerparadiese, in die Schweiz.
»Die Herren des Rauschgiftes«, sage ich und hoffe, dass Ferrarini weiterreden möchte.
Er nickt, es scheint ihn große Mühe zu kosten.
»Wie oft haben Sie von den Capobiancos reden hören? Wie viele Berichte über deren Geschäfte und ihre Verbindungen zur Politik haben Sie in den Zeitungen oder im Fernsehen gesehen? Ich will es Ihnen sagen. Kaum welche, besser gesagt, keine.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Wir wollen ganz ehrlich sein, in Ordnung? Ich weiß, woran Sie sitzen und wovon Sie ausgegangen sind. Ich weiß, dass das, was Sie am meisten interessiert, die Attentate auf Falcone und Borsellino sind, die Bomben von 1993. Und ich könnte mir denken, dass Sie sich fragen, welche Zusammenhänge bestehen zwischen einer Bank, die Mafiagelder gewaschen hat, und einer Sache, die über zwanzig Jahre später passiert.«
Ich antworte ohne nachzudenken.
»Kontinuität«, sage ich, und er sieht mich verblüfft an.
»Dann brauche ich Ihnen nichts weiter zu sagen.«
Er schweigt einen langen Moment. Wir trinken Tee, es fängt an zu regnen und hört gleich darauf wieder auf. Dann bekomme ich zum ersten Mal einen Namen zu hören.
»Was wissen Sie über die Perseo?«
»Das, was alle wissen. Versicherungen, Zeitungen, Werbung, Verlage, Satellitenprogramme, Fernsehen, High-End-Elektronik, Baugewerbe. Die größte Supermarktkette Italiens. Eine weltberühmte Weinmarke. Eine Filmproduktionsfirma, die bei den amerikanischen Marktführern ganz dick im Geschäft ist. Wo immer Geld gemacht wird, sie stecken mit drin. Und zwar ganz oben.«
»Und Antonio Marsigli?«
»Ein hohes Tier bei der Perseo. Persönlicher Freund von Firmenchef Rossini. Worauf wollen Sie hinaus?«
Ferrarini steht auf, geht zur Glastür, die auf den Garten hinausgeht, und öffnet sie. Mit der Hand auf dem Griff bleibt er auf der Schwelle stehen. Die Katze huscht herein, streckt sich auf dem Boden aus und schließt die Augen.
»Ich habe Antonio Marsigli kennengelernt, als es die Perseo noch gar nicht gab. Wir sind Altersgenossen, soweit ich weiß. Er war mit der Cousine meiner Frau zusammen, dann haben sie sich getrennt. Ein wahres Glück. Für sie, meine ich.«
Er schließt die Tür und sieht mich an.
»Und wenn ich Ihnen sage, dass sich in Falcettas Kontakten auch Marsiglis Telefonnummer befand? Und dass ich sie mindestens zweimal zusammen in der Bank gesehen habe?«
»Jemanden zu kennen, will noch nichts heißen.«
Er nickt. Sieht weg. Verschränkt die Arme.
»Es gab mal eine Gesellschaft namens Trident. Inzwischen gibt es die schon lange nicht mehr. Sie hatte ein Konto bei der BCM. Eine wahre Geldflut ist über dieses Konto gegangen, ohne jemals abzureißen. Wissen Sie, wie das funktioniert?«
»So ungefähr.«
»Ganz einfach: Gesellschaft A erhält eine Gutschrift über eine gewisse Summe. Sie splittet sie auf und überweist das Geld häppchenweise auf das Konto der Gesellschaft B. Die überweist auf die Konten von Gesellschaft C. Ist sie gerade in kreativer Laune, teilt sie die erhaltenen Beträge ebenfalls in kleinere Teile auf. Das lässt sich beliebig lang fortführen. Der Letzte jedoch überweist das Geld wieder an die Ausgangsgesellschaft A. Blütenrein wie frisch gewaschene Wäsche. Dann macht der Großteil der Gesellschaften in der Kette dicht. Oft werden sie nur für ein oder zwei Transaktionen gegründet. Davor spannt man einen Strohmann, der ein bisschen Trinkgeld bekommt und keine Fragen stellt. Oder jemanden, der einfach keine Ahnung hat, was abgeht. Irgendeinen alten Onkel, der einem vertraut. Und schon ist die Sache geritzt.«
»Und die Trident?«
»Die Trident hat ein paar Jahre durchgehalten. In unserer Kette war sie Gesellschaft A. Sie bestand aus drei Gesellschaftern. Ein Schweizer Finanzunternehmen, Falcettas Cousine und eine Dame aus Como, die vielleicht nur irgendwo unterschrieben und der falschen Person vertraut hatte. Man hat nie herausgefunden, wie es gelaufen ist, und von diesen
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