Bleiernes Schweigen
geringste Absicht, Sie ein Vernehmungsprotokoll unterschreiben zu lassen.«
Baldaccis Blick wandert zwischen Andrea und Daniele hin und her.
»Arbeitet ihr allein?«, fragt er. Er lacht los, ohne die Antwort abzuwarten. »Kein Vernehmungsprotokoll, kein Aufnahmegerät, ein privates Treffen. Ein alleinstehendes Haus, ich, Sie, Ihr Geheimdienst-Freund – die erkenne ich sofort, wissen Sie? –, Ihre Eskorte, meine Eskorte. Darf ich riskieren, Sie vor den Kopf zu stoßen, Dottore? An genau solchen Treffen habe ich teilgenommen, ehe ich angefangen habe auszupacken.«
Als Daniele nichts entgegnet, fährt Baldacci mit seinen Fragen fort.
»Wieso machen Sie das, Dottore?«
»Das tut nichts zur Sache.«
»Sie gefallen mir, wissen Sie? Und ob das was zur Sache tut. Ich werde Ihnen Dinge erzählen, die Sie nicht beweisen können. Oder wenn, dann erst in zehn Jahren, wenn alles ganz anders ist. Und wenn es drauf ankommt, werde ich jede Silbe leugnen. Sie werden Ihre Notizen machen, Ihre Untersuchungen durchführen und Ihre Schlussfolgerungen ziehen. Und, glauben Sie mir, die Dinge sind häufig so, wie sie scheinen. Doch an dem Punkt wird man Sie umbringen. Und alles wegen dieser Unterhaltung, von der noch nicht einmal ein Protokoll existiert.«
Daniele bleibt ungerührt.
Einmal hat er einen des Mordes Angeklagten verhört. Kaum hatte der ihm gegenüber Platz genommen, hatte er in Anwesenheit seines Anwalts zu Protokoll gegeben, er würde ihn umbringen. Er hatte darauf bestanden, es solle schwarz auf weiß festgehalten werden, wie er es tun würde. Und als er drei Jahre später aus dem Gefängnis ausgebrochen war, hatte er es tatsächlich versucht.
Die Erinnerung an das Protokoll hatte Daniele das Leben gerettet. Es hatte bis ins kleinste Detail gestimmt.
»Sie kümmern sich um Ihre Unversehrtheit, Baldacci, und ich kümmere mich um meine. Risikobewertung.«
»Korrekt. Doch eines sollten Sie bei Ihrer genauen Risikobewertung bedenken: Ich habe nichts zu verlieren. Offiziell habe ich nichts gesagt, Ihre Jagd wird auf Annahmen und anonymen Quellen beruhen. Und vergessen Sie nicht, dass die anonyme Quelle auch von demjenigen sprechen könnte, der Ihre Eskorte zusammenstellt. Eine Versicherung würde die Prämie erhöhen.«
Daniele hält Baldaccis Blick stand. Dann öffnet er die Ledertasche, die am Sofa steht. Er zieht eine Mappe, einen Stift und ein brandneues Notizbuch hervor.
»Wann Sie wollen«, sagt er. »Vorausgesetzt, Sie sprechen nicht über Ihre eigene Angst.«
Baldacci breitet die Arme aus.
»Ich habe nur eine Bedingung.« Er deutet mit dem Kinn auf Andrea. »Wir sind einer zu viel.«
Andrea steht auf.
»Nichts für ungut«, sagt Baldacci. »Aber mit den Geheimdiensten habe ich mich schon genug herumgeschlagen.«
»Ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich habe Tee nie ausstehen können.«
Ferrarini schaut auf die Tasse, die ich gerade auf den Tisch gestellt habe. Ich habe sie in drei Schlucken geleert.
»Das war Tee, falls Sie es nicht bemerkt haben.«
»Und er war ausgezeichnet.«
Er schüttelt den Kopf.
»Ich liebe es, wenn jemand einen Irrtum zugeben kann.«
Ferrarini lebt in einem Zweifamilienhaus, das auf einem von Kastanien bewaldeten Hügel steht. Ringsherum nichts als Bäume und Grün und der Blick ins Tal, über dem der Regen aufgezogen ist.
»Das hat mit der Jahreszeit zu tun«, sagt er und schließt die Fenster, um das Wasser auszusperren.
Dann setzt er sich, nimmt die Tasse zwischen beide Hände und macht da weiter, wo er aufgehört hat.
»1970 war der Anfang vom Ende. Ich war seit sechs Jahren in der Bank tätig, und meine Tochter war seit einem Jahr auf der Welt. Ich weiß nicht mehr wie, aber ich erfuhr, dass drei neue Teilhaber eingetreten waren, die zusammen ein Drittel der Bank besaßen. Mit ihrem Auftauchen ändert sich alles. Der Umsatz steigt, der Gewinn schnellt in die Höhe, das Kapital wächst in kurzer Zeit mehrmals um hundert Prozent.«
»Die Cosa Nostra ist da.«
»Nein, Sie irren. Die war bereits da. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Mafia von Anfang an bei der Bank mitmischte. Oder sie zu ihren Zwecken benutzte. Anfang der Sechziger ganz bestimmt. Der Eintritt dieser neuen Teilhaber leitet eine neue Phase ein. Es ist ein bisschen so, als wäre der Testlauf vorbei. Doch das Schöne war, drauf zu kommen, um wen es sich handelt. Drei Gesellschaften mit Sitz in Liechtenstein, vertreten durch einen Schweizer Anwalt namens Karl Weimer. Eines der drei Unternehmen
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