Bleiernes Schweigen
herrscht Stille. Er wirft das Papier in den Aschenbecher. Seine linke Hand zittert leicht. Sofort verschränkt er die Finger und legt die Hände in den Schoß. Er scheint darauf zu warten, dass etwas passiert. Ein unerträgliches Warten, dem ich mich nicht entziehen kann.
Dann klingelt das Telefon. Der Festnetzanschluss auf dem Schreibtisch.
Er greift nicht sofort zum Hörer. Er wartet. Ich höre auf, seinem Blick standzuhalten. Er hebt ab. Horcht. Entlässt mich.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr Zeit widmen kann«, sagt er.
»Kein Problem. Ich sage Ihnen Bescheid, sobald der Artikel erscheint.«
»Ja, sehr gern.«
Er drückt mir die Hand. Seine ist ein wenig feucht.
Ich verlasse das Büro, gehe zum Aufzug und bin mir sicher, dass er mir nachsieht.
Es ist neun Uhr morgens und die Bar ist voll. Das Mädchen ist sehr schön und genauso abwesend. Nie ein zu kurzer Rock, nie ein Lächeln, das etwas bedeuten könnte, nie ein Wort zu viel, nie eine Männerbegleitung, abgesehen von ihrem Arbeitgeber. Den sie siezt.
Seit fast einem Jahr arbeitet sie in der Agentur am Ende der Straße und kommt jeden Morgen zum Frühstück. Anfangs gab es hier und da einen Annäherungsversuch, eine flotte Bemerkung. Kalt und ungerührt ließ sie alles an sich abperlen.
Jetzt sitzt sie allein in einer Ecke vor der geöffneten Zeitung, einen Cappuccino und ein Cremeteilchen vor sich. Sie gehört nicht zu denen, die ein Gewese ums Essen machen, und dennoch hat sie kein Kilo zu viel. Fitness und Glück, sagen die, die nicht den Mund halten können. Das sind meist Frauen, die Gewichtsprobleme haben oder jeden Tag ihre Kalorien zählen. Oder Männer, die von ihr noch nicht einmal träumen können. Sie tut so, als hörte sie nichts und verbirgt sich hinter ihrer großen Sonnenbrille. Aber in Wirklichkeit hört sie alles.
Wenn jemand sie fragen würde und sie Lust hätte zu antworten, könnte sie sagen, auch das gehöre zu ihrem Job. Zuhören, die Umgebung im Auge behalten, die – oft übelsten – Gerüchte, die in der Bar kursieren, ernst nehmen und herausfinden, ob sie etwas mit der Agentur zu tun haben. Die Agentur zahlt ihr Gehalt. Dafür haben sie sie eingestellt.
Sie blättert durch die Zeitung und beißt in ihr Brioche. Die Creme ist noch warm. Unter anderen Umständen hätte sie es sogar genossen, aber nicht an diesem Morgen. An diesem Morgen hört sie zu.
Es gibt noch weitere vier Immobilienagenturen, deren Mitarbeiter in der Bar ein und aus gehen. Sie kennen sich, sie hassen sich, und trotzdem plaudern sie jeden Morgen miteinander am Tresen. Das heutige Gesprächsthema ist der gestrige Anruf des Sole 24 Ore . Sie haben ihn alle bekommen.
Ein netter Typ, meint der von der Immobilienfirma Domani. Er hat ein paar Fragen gestellt, ich wusste nicht, ob ich antworten soll, sagt der junge Mann von CasaViva. Ich hab ihm alles gesagt, was es zu sagen gab, sagt der Inhaber der Piccini.
Die junge Frau trinkt ihren Cappuccino aus. Auch sie hat den Anruf bekommen, und es ist einer, dem man nachgehen muss. Davon gibt es nicht viele und normalerweise ist es blinder Alarm. Nur einmal war es nicht so.
Mit dem Journalisten hat sie nicht gesprochen, der Anrufbeantworter fungiert als Filter. Und der Anruf kam von einer unbekannten Nummer. Mit ziemlicher Sicherheit aus einer Telefonzentrale.
Sie schlägt die Zeitung zu, legt das Geld auf den Tisch und geht. Sie sehen ihr nach, das spürt sie. Und diesmal gönnt sie ihrem Publikum etwas. Eine Hand auf der Bluse, die an den Knöpfen nestelt und für einen winzigen Moment den Blick auf die Spitze des BHs freigibt.
»Diese Liste ist so gut wie nutzlos.«
Mein Vater rollt eine Gabel Spaghetti auf und sieht mich nicht an. Der kleinere Gastraum bei Bubi ist menschenleer. Er hat ihn nur für uns aufgemacht und hinter uns sofort wieder geschlossen.
»So gut wie?«
Ich lege die Gabel in den Teller.
»Ja, so gut wie. Giordano ist wegen externer Beteiligung an einer mafiösen Vereinigung rechtskräftig verurteilt worden. Ceccarelli ist noch auf seinem Posten beim SISDE. Über die anderen Namen lässt sich kaum etwas herausfinden.«
Adriano gießt sich zwei Finger breit Wein ein, trinkt und sieht mich an.
»Verheimlichst du mir vielleicht eine Geliebte?«
Ich sehe ihn verständnislos an. Er grinst.
»Du redest, ohne etwas zu sagen. Nur weil wir im Restaurant essen oder uns im Park treffen, müssen wir uns doch nicht unterhalten wie in der ›Rätselwoche‹, verdammt noch mal!
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