Bleiernes Schweigen
Sag mir, was du rausgefunden hast.«
Er wendet sich seinen Spaghetti zu und wartet.
Ich schüttele den Kopf. Kaue auf einem Rigatone – Tomate, Oliven, Kapern, höllisch scharfe Peperoncini –, trinke ein halbes Glas Wasser und lege los.
»Keiner von diesen Namen hat einen herausragenden Posten inne. Zumindest geht es so aus dem Organigramm der Geheimdienste hervor. Einer ist allerdings tot.«
Adriano sieht von seinem Teller auf.
»Autounfall?«
»Zwei Schüsse in die Brust.«
»Überfall oder Einsatz?«
»Einsatz. Ein Verdacht auf Drogenhandel. In Cuneo, vor vier oder fünf Jahren.«
»Sind die geschnappt worden?«
»An Frankreich ausgeliefert. Sie wurden seit einer Ewigkeit gesucht.«
»Unmöglich herauszufinden, ob die noch dort sind. In einem französischen Knast, meine ich.«
»Adriano, woran denkst du?«
»An das Gleiche wie du. Man müsste etwas über die anderen Namen auf der Liste in Erfahrung bringen. Ob sie beim Geheimdienst sind, zumindest die, die Elena angekreuzt hat.«
Ich esse, sage nichts, warte. Alles hat seinen Moment, und vielleicht ist jetzt das Problem an der Reihe, das ich angehen will. Ich schiebe mir den letzten Rigatone in den Mund und warte, bis Adriano aufgegessen hat.
»Fragen wir doch den Mann mit der Zigarette«, sage ich. »Oder Giuseppe. Lass mich die beiden treffen. Du kannst das arrangieren, da bin ich mir so gut wie sicher.«
Er wischt sich den Mund ab, legt die Serviette auf die Knie und bestellt noch eine Flasche Wasser. Dann trinkt er. Eine Folge mir unendlich langsam erscheinender Gesten.
»Wieso?«
Meine Geduld ist so gut wie am Ende.
»Stell keine blöden Fragen, Adriano. Elena hatte eine Quelle. Eine sichere, interne Quelle. Einen, der ihr dieses Zeug gegeben hat. Oder der sie zumindest auf die richtige Spur gesetzt hat. Die Papiere sind voll von Telefonnummern ohne Namen. Wetten, dass bei irgendeiner jemand abhebt? Vielleicht ein Anrufbeantworter, wie bei der Immobilienagentur.«
»Ich habe dort angerufen.«
»Bei der Agentur?«
»Die Prontocasa, ja. Und auch alle anderen ringsum. Ich hab ein paar Fragen gestellt. Wie läuft der Immobilienmarkt, mit welchen Agenturen arbeiten Sie zusammen, ein bisschen Gelaber.«
»Und …«
»Ich hab versucht, was rauszukriegen, ohne Verdacht zu erregen. Niemand kennt die Prontocasa. In der Nähe gibt es noch vier andere. Alles, was die wissen, ist, dass dort eine arbeitet, die wie ein Fotomodell aussieht. Und dass sie nie einen Kunden sehen. Also habe ich ein bisschen gegraben. Die Agentur ist auf einen eingeschriebenen Makler eingetragen. Der Einkommenssteuererklärung nach haben die einen Haufen Kunden. Auf ihrer Website steht, sie seien ausschließlich auf Luxusimmobilien spezialisiert.«
»Das erklärt, warum die Agentur nur selten besucht wird.«
»Und die Verschwiegenheit …«
Er spricht den Satz nicht zu Ende, und es ist auch nicht nötig.
»Tu nicht so, als wäre nichts.«
»Nachdenken ist nicht so tun, als wäre nichts.«
»Du hast doch gesagt, wir sollen nicht reden wie in der ›Rätselwoche‹.«
Diesmal wird er sauer. Er spricht leise und sein Ton ist aggressiv.
»Willst du wissen, ob eine dieser Nummern Giuseppe gehört? Schon möglich, ja. Es sei denn, sie hat ihn auf andere Weise kontaktiert. Aber ich weiß nicht, welche es ist. Und selbst wenn sie dabei wäre, glaubst du nicht, die wäre seit Ewigkeiten ungültig?« Er hält inne und kehrt zum normalen Tonfall zurück. »Der Mann mit der Zigarette ist tot. Inzwischen bin ich mir fast sicher. Ich hatte eine Methode, ihm zu verstehen zu geben, dass ich ihn sprechen wollte. Zumindest glaube ich das, eine Abmachung gab es nicht.«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Erinnerst du dich an meinen weißen Schal?«
»Den ich dir geschenkt habe und den du nie getragen hast?«
»Genau der. Aber es stimmt nicht, dass ich ihn nie getragen habe. Normalerweise bin ich ein paar Tage mit ihm rumgelaufen, und dann ist er aufgetaucht. Aber wie gesagt, das hatten wir nie abgesprochen. Vielleicht hab ich’s mir auch nur eingebildet. Wie auch immer, vor einer Weile habe ich ihn wieder getragen.«
Ich warte. Ich bin sicher, dass er lügt, aber das ist egal. Jetzt zählt etwas anderes.
»Ohne einen Kontakt ist diese Liste nutzlos.«
Adriano nickt. Er hat verstanden. Ich hoffe, er tut, was er tun muss. Ganz gleich, was es ist.
Jeden Morgen verlasse ich das Haus und mache einen Spaziergang. Egal, bei welchem Wetter. Die Runde ist fast immer die gleiche,
Weitere Kostenlose Bücher