Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
Vom Netzwerk:
man legt sich schnell Gewohnheiten zu. Ich kaufe Brot, ein bisschen Schinken, ein paar Gläser Fertigsauce, falls ich mal keine Lust habe, am Herd zu stehen.
    Auf dem Hinweg lasse ich mir Zeit, gehe durch den Wald und lausche der Stille. Anfangs machte mir das Angst. Ich fürchtete mich vor den Bäumen, verwechselte das Rascheln des Grases mit dem Wispern von jemandem, der mir auflauert. Argwöhnisch blickte ich die schattigen Wege hinunter, die den Hauptweg kreuzen und sich im Nichts verlieren. Zu Hause habe ich dann über meine Dummheit gelacht.
    Heute habe ich keine Angst mehr.
    Vielleicht ist die Befürchtung der Gewissheit gewichen.
    Inzwischen gehe ich möglichst auch nachmittags raus. Ich spaziere in den Wald, suche neue Wege, folge unbefestigten Pfaden, die nirgendwohin zu führen scheinen, verliere die Orientierung und komme am Ende wenige hundert Meter von meinem Haus entfernt heraus, als hätte die Natur selbst mich zurückgebracht und beschützt.
    Wenn ich nicht vor die Tür kann, fühle ich mich wie im Käfig. Hier in den vier Wänden, in die ich mich zurückgezogen habe, um diese Geschichte aufzuschreiben, habe ich wirklich Angst. Hier spüre ich die Gefahr dessen, was ich tue, während die Worte aus mir herausströmen und das Klima jenseits des Fensters mich zum Gefangenen meiner Erinnerungen und meines Lebens macht.
    Manchmal gehe ich dennoch raus. Bei Regen, bei Schnee. Ich habe das richtige Schuhwerk, eine Gore-Tex-Jacke, gefütterte Handschuhe, einen Schal. Oder Ölzeug und Stiefel.
    Ich laufe, verliere mich, suche nach einer Gewissheit. Lausche. Die Stille antwortet mir: Ich bin noch immer allein. Im Augenblick ist das die beste Überlebensgarantie.
     
    Man muss wie ein Held denken, um sich wie ein halbwegs anständiger Mensch zu verhalten.
    Sean Connery sagt diesen Satz auf dem Bildschirm, und ich unterstreiche jedes Wort mit der lautlosen Bewegung meiner Lippen. Der Film Das Russland-Haus war mein erster Berührungspunkt mit John le Carré, und es taucht in meinem Leben immer wieder auf.
    Um einen der Polizisten zu treffen, die Elena und Adriano auf dem Dach gesehen haben, sitze ich fast sechs Stunden im Zug. Ich vertreibe mir die Zeit mit den Worten Javier Cercas’, den Schlagzeilen der Zeitungen und einem flüchtigen Traum, in dem ich einsam auf einem grauen, endlosen Ozean dümpele.
    Das Meer, das mich bei meiner Ankunft empfängt, sieht glücklicherweise ganz anders aus. Der wolkenlose Himmel und der Spaziergang durch den frisch sanierten Hafen wischen die Stunden im Großraumwagen mit einem Schlag weg.
    Der Mann wartet in der letzten Bar auf mich. Er ist groß, hat leicht ergrautes Haar und trägt eine Sonnenbrille. Ich frage mich, ob er wirklich wie ein Polizist aussieht oder ob ich ihm das nur andichte. Tatsächlich ist er genauso angezogen wie die Touristen, die er angeblich verabscheut. Ein Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, ein Baumwollpulli über den Schultern, Dreivierteljeans, offene Tennisschuhe.
    Ihn zu finden war ebenso einfach, wie ihn von einem Treffen mit mir zu überzeugen. Zuerst hat mich das misstrauisch gemacht, doch dann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass er nur darauf gewartet hat.
    Eine Weile umgehen wir das Thema. Er erzählt mir von Palermo, von Falcones Tod, davon, wie wichtig es für eine Plaudertasche wie ihn war, schweigen zu lernen. Er erzählt mir, fern von Sizilien habe er gelernt, ein anderes Leben zu lieben, die als Adrenalin getarnte Angst jener Jahre fehle ihm nicht und dieses Meer sehe ganz anders aus als das, was er zurückgelassen hat.
    Dann hört er zu. Die Terrasse, das Treffen mit den Kollegen, der verschwundene Bericht. Ich versuche, neutral zu bleiben und meine persönlichen Ansichten nicht einfließen zu lassen. Nur Daten, Orte, Fakten. Alles nachprüfbar.
    Er rührt sich nicht, nickt hin und wieder und scheint darauf zu warten, dass ich fertig bin.
    Er fragt mich, wie ich von dieser Geschichte erfahren habe, und einen Moment lang bin ich kurz davor, ihm zu sagen, dass ich sie nicht erfahren, sondern erlebt habe. Zuerst durch die Augen meines Vaters und meiner Frau und dann durch die Worte eines Tatsachenberichtes.
    Ich tue es nicht. Ich versuche, das Richtige zu tun, nicht aus der Deckung zu kommen, nicht mehr zu sagen, als ich muss, die Grenzlinie zwischen Geständnis und Schweigen zu wahren, die es mir erlaubt, weiterzumachen.
    Der verschwundene Bericht, die nie aufgenommenen Untersuchungen, die nie eingeleiteten Ermittlungen.
    Am Ende zeigt

Weitere Kostenlose Bücher