Bleiernes Schweigen
versucht.
»Die Mafia lässt keine Monumente hochgehen.«
Er wiederholt es zweimal, mit immer leiserer und tieferer Stimme.
»Was wissen sie schon über die Accademia dei Georgofili in Florenz? Über den Padiglione d’Arte in Mailand? Wenn jemand versucht, Kirchen zu zerstören, ist das Terrorismus.« Er betont jede Silbe. »Ter-ror-is-mus.«
Er dreht sich um und steht vor dem fallenden Regen.
»Und die Mafia fordert nicht. Ihre Feinde sind klar, die Grenzen unstrittig, die Drohungen öffentlich. Es gibt keinen Grund zur Erklärung.«
Er setzt sich wieder.
»Nach Limas Tod gab es einen Anruf im Namen der Falange Armata. Nach Capaci ebenfalls. Und auch nach der Via d’Amelio. Einen, den niemand verstanden hat und der auf ein Artilleriegeschoss in dem Boboligarten in Florenz hinweisen sollte. Einen nach dem Anschlag auf Costanzo, einen nach der Bombe in der Via dei Georgofili, einen fünf Tage später, nach dem Fund einer Art Bombe im Palazzo Chigi. Es gibt zwei Briefe im Namen der Falange Armata, die zwischen Ende Juli und Anfang August beim Messaggero und beim Corriere della Sera eintreffen. Die Briefe beziehen sich ausdrücklich auf die Bomben und drohen mit neuen Explosionen, tagsüber und an bevölkerten Orten. Und es gibt die Aussagen von drei Kronzeugen Mitte der Neunziger, die behaupten, als man die Attentate beschloss, wurden auch die Forderungen mit eingeplant. Und der Name Falange Armata.«
Er lässt die Finger knacken und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Mitte September wird in Rom eine Untersuchung eingeleitet. Man vermutet, dass die Bekennertelefonate von offiziellen Mitarbeitern des Militärischen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes SISMI getätigt wurden. Es hatte einen Hinweis gegeben, die Telefone waren abgehört worden, ein erster Ansatz. Einen Monat später tauscht die soeben angetretene Regierung Carlo Azeglio Ciampis die Führungsriege des Geheimdienstes aus. Ein völlig normaler Vorgang nach einem Regierungswechsel. Der Ministerpräsident ist sehr besorgt, er sagt es in den folgenden Jahren immer wieder. Im Sommer, in der Bombennacht von Rom sind die Telefone des Ministerpräsidenten isoliert, er befürchtet einen Staatsstreich. Ein paar Monate darauf räumt er im Geheimdienst auf. Angefangen bei den Chefs beginnt eine regelrechte Säuberung in den oberen Reihen. Dreihundert SISMI-Männer werden an ihre Ursprungssitze zurückgeschickt. Unter ihnen sind auch die mutmaßlichen Anrufer der Falange. Allesamt gehören zur siebten Division, die für Gladio zuständig war.« Er verstummt. Sieht mich an. Atmet tief durch und redet weiter.
»Drei Wochen nach der Einleitung der Rom-Untersuchungen nimmt jemand Kontakt mit mir auf. Er ruft mich auf meinem Privathandy an, Teilnehmer unbekannt. Er probiert es mehrmals, bis ich endlich rangehe. Er erklärt mir, er wisse, wer hinter der Falange Armata steckt. Es sei nicht so einfach, wie es scheine, und er müsse mich persönlich treffen. Wir verabreden uns am 16. Oktober in einem Florentiner Hotel. Er behauptet, er heiße Ignazio Solara. Als ich zum verabredeten Treffen komme, ist niemand da. Signor Solara, sagt man mir an der Rezeption, musste ganz plötzlich abreisen. Er habe eine Nachricht für mich hinterlassen. Es ist ein Computerausdruck, darauf steht: Ich bin zu spät gekommen. Zwei Tage darauf erfolgen die Ernennungen der neuen Geheimdienstspitzen.«
»Hast du ihn gesucht?«
»Na klar hab ich ihn gesucht! Ich habe ihn mir beschreiben lassen, aber offenbar konnte sich niemand an ihn erinnern. Normal. Nett. Still. Höflich. Zwischen fünfunddreißig und vierzig.«
»Das könnte jeder sein.«
»Genau. Eine Weile haben wir in sämtlichen Hotels Italiens nach ihm gesucht. Damals wurden Gästeregistrierungen noch sehr viel gründlicher vorgenommen als heute, aber er ist trotzdem nicht mehr aufgetaucht.«
Er gießt sich ein Glas Wasser ein, trinkt schweigend und lässt den Blick durchs Zimmer wandern. Zweimal hebt er wieder zu reden an. Doch als er es schließlich tut, ist alles anders.
»Wir werden uns für eine Weile nicht sehen. Es ist besser so.«
Ich blicke ihn verständnislos an.
»Das war’s?«
Er legt mir eine Hand aufs Bein.
»Nein.« Er sieht mir in die Augen.
»Nein«, wiederholt er. »Das war’s nicht. Nicht im Traum.«
Ein paar Tage später ist meine Wut auf Daniele noch immer nicht verflogen. Ich versuche mit Adriano darüber zu sprechen. Wir streiten.
Ich zerre ihn auf die Gemeinschaftsterrasse seines
Weitere Kostenlose Bücher