Bleiernes Schweigen
Wohnhauses, und kaum sind wir im Freien, explodiere ich. Alles, was ich in all den Jahren zu unterdrücken versucht habe, bricht aus mir heraus, gemischt mit dem Gefühl, dass alle mich unter einer Glasglocke halten, als hätten sie Angst, ich könnte beim ersten Windstoß zu Staub zerfallen.
Er sagt nichts und hört zu. Ich haue ihm alles um die Ohren, aber er scheint es nicht einmal übelzunehmen. Schließlich kriege ich einen dermaßen heftigen Hustenanfall, dass ich kaum noch Luft bekomme. Er versucht zu beschwichtigen. Deine Mutter würde sagen, das Böse will raus. Ich blicke mich um, der Husten verwandelt sich in Lachen, und auch Adriano lacht für einen mir ewig erscheinenden Moment, der alles hinwegfegt. Fast alles.
Ich schildere ihm meinen Abend mit Daniele, Wort für Wort. Er hört zu, die Sonne im Gesicht, die Augen geschlossen, die Hausdächer ringsherum als stumme Zeugen. Am Ende wirft er einen Satz hin, den ich unversehens glaube, ohne zu wissen warum.
Die umgeleiteten Geheimdienste gibt es nicht.
Ich sage nichts mehr. Ich bitte ihn um ein paar Tage Pause, ich habe das Gefühl zu ersticken.
Wenige Minuten später verabschieden wir uns. Ich dränge ihn noch einmal, mich mit Giuseppe sprechen zu lassen.
Zu Hause versuche ich, an etwas anderes zu denken. Ich sehe einen Film, höre Musik, versenke meine Gedanken in einen spanischen Roman, der von einer in einem Gemälde versteckten Schachpartie erzählt. Ohne ersichtlichen Grund überkommt mich die Lust zu schreiben, und ich schreibe zehn Seiten meines Nicht-Fantasy-Romans, der doch einer zu werden scheint.
Ich esse allein in einem meiner Lieblingsrestaurants. Ein Ecktisch im Freien. Ich sehe mir die Leute an, die wenige Meter von mir entfernt sitzen. Ich frage mich, ob sie sich einsam fühlen, mit ihrem flüchtigen Lächeln, hinter dem sich Unaussprechliches zu verbergen scheint.
Ich gehe zu Fuß nach Hause zurück, warte die richtige Uhrzeit ab und rufe Giulia an. Als ich ihr Gesicht auf dem Monitor sehe, habe ich für einen winzigen Moment das Gefühl, in einem alten Science-Fiction-Film gelandet zu sein. Es geht sofort vorbei.
Sie wirkt glücklich, auch sie lächelt die ganze Zeit. Doch hinter ihren hellen Augen verbergen sich keine Dämonen. Irgendwie scheint sie sie auf unerklärliche Weise besiegt zu haben.
Und dafür bin ich dankbar und neidisch zugleich.
Ich habe seit einer Ewigkeit nicht mehr Fußball gespielt. Jahrelang habe ich einmal die Woche gekickt, mit Daniele und einer Mannschaft, die ganz gut zu sein schien und dann doch jedes Mal verloren hat, wenn’s drauf ankam.
Jetzt treffen wir uns ab und zu wieder. Wir spielen zu siebt, auf elf bringen wir es nicht mehr. Und nur, wenn das Wetter es zulässt. Sonst machen die Gelenke nicht mehr mit.
Nach meiner Rückkehr aus Florenz hatte ich die Einladung in der Mail. Ich habe sofort zugesagt, eine prima Gelegenheit, ein bisschen Wut abzulassen. Dann kam der Streit mit Adriano und danach hatte ich einfach nur noch Lust zu spielen, obwohl ich weiß, wie schlecht wir inzwischen geworden sind.
Das Spiel entpuppt sich als die übliche Fehde, in der der Spaß bald in bitteren Ernst umschlägt. Wir verlieren wegen eines Fernschusses, der sich unmöglich kontern lässt.
»Hast du noch Wendekreis des Krebses ?«
Ich versuche gerade, meinen Haaren irgendeine Art von Ordnung zu verpassen, als Andrea mir diese Frage stellt. Eine seltsame Ironie des Schicksals will es, dass die alte Mannschaft hauptsächlich aus Leuten besteht, die mit unterschiedlichsten Arten von Straftaten zu tun haben. Daniele, mehrere Gerichtsjournalisten, ein paar Polizisten und Carabinieri – die wir bei diesen Treffen in zwei verschiedene Mannschaften stecken –, ein Arzt, der bei einer gerichtspsychiatrischen Einrichtung arbeitet.
Andrea ist einer der wenigen Zivilisten. Solche wie er wurden bei uns immer die ›Infiltrierten‹ genannt. Er ist größer als ich, ein paar Jahre jünger, eingefleischter Junggeselle, und seine leuchtend grünen Augen dürften ihm die Freizeit gehörig versüßen. Ich habe nie recht begriffen, was genau er eigentlich arbeitet, aber so geht es mir oft bei Finanzberatern. Es ist Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Er war wohl in Rom, zumindest habe ich das gehört. Er hat das Treffen organisiert, weil er demnächst wieder irgendwo anders hinversetzt wird.
Ich mache den Fön aus.
» Wendekreis des Krebses ?«
»Jepp. Miller, weißt du?«
»Klar.«
Er
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